«Müssen uns an neue Fischarten gewöhnen»

Weltweit sind die Fischbestände im Süsswasser über 90 Prozent zurückgegangen. Da ist die Schweiz keine Ausnahme. Der Artenschwund unserer heimischen Fische sei gar «katastrophal», so David Bittner vom Schweizerischen Fischereiverband. 

Ein Mann steht mit einer Angelrute an einem Bach
David Bittner ist Fischereibiologe aus Leidenschaft. © zVg

Noch immer sitzen uns die schrecklichen Nachrichten über das massive Fischsterben vom Hitzesommer 2022 im Nacken. Wie es den Fischen in der Schweiz heute geht und worauf wir uns für die nächsten Jahre vorbereiten müssen, erklärt David Bittner im Interview.

Zur Person: David Bittner ist promovierter Biologe und seit 2021 Geschäftsführer des Schweizerischen Fischereiverbands. Zuvor war er während neun Jahren bei der Fischereiverwaltung des Kantons Aargau tätig. Als Bittner das erste Mal nach Alaska reiste, um die Lachswanderung zu beobachten, freundete er sich mit den dort heimischen Bären an. Seither hat er mehrere Bücher und Filme über die Fellriesen (mit-)veröffentlicht.

Herr Bittner, hat sich die Fisch-Population im eher nassen Sommer 2023 wieder erholen können von den Strapazen des Hitzejahres 2022? 

Leider kann man bei den Fischen nicht so genaue Populationszählungen durchführen wie z.B. bei Steinböcken. Tatsächlich waren die Bedingungen in diesem Sommer gut. Doch wir gehen davon aus, dass sich die Schäden vom letzten Jahr nicht ganz so schnell erholen werden. 

Und trotzdem wird weiter Werbung gemacht für Fischernachwuchs. Weshalb?

Eine berechtigte Frage. Je besser ausgebildet die Fischerinnen und Fischer jedoch sind, desto mehr setzen sie sich auch für den Gewässerschutz in der Schweiz ein. Ein gutes Beispiel ist der lokale Fischereiverband der Emme: Aufgrund von schädlichen Wetterextremen hat er letztes Jahr den Kanton dazu gebracht, ein 5-jähriges Fischereiverbot zu verhängen. Weiter werden jährlich hunderte von CleanUps organisiert und aufwändige Renaturierungen an den Gewässern durchgeführt – dies mit reiner Muskelkraft, anstatt mit Baggern! Solche Leute brauchen wir. Denn unsere Gewässer sind unsere Korallenriffe. Über 80 Prozent der Tier- und Pflanzenwelt in der Schweiz lebt im oder am Wasser.

Gewässer von unten
Gewässer sind Zentren der Schweizer Biodiversität. © scubaluna / iStock / GettyImages

Übrigens: In der Schweiz muss man nicht zwingend eine Ausbildung machen, um fischen zu dürfen. An vielen Orten werden Tages- und Wochenkarten verkauft, um Touristen anzulocken. Der Schweizerische Fischereiverband setzt sich jedoch für eine Ausbildungspflicht für alle ein.

Was setzt den Fischpopulationen am meisten zu: Die Hitze, Pestizide oder eben doch die Fischerei?

In der Schweiz wird grundsätzlich nachhaltig gefischt. Das heisst, die Fische dürfen erst gefangen werden, nachdem sie sich vermehren konnten. Die chronische Belastung an Pestiziden und Nährstoffen aus der Landwirtschaft jedoch setzt den Gewässern stark zu. Auch vom Mikroplastik des Reifenabriebs landet viel in den Gewässern, was bereits die Fortpflanzung der Fische beeinträchtigt. Auch die vielen Wasserkraftwerke bedeuten ein ständiges Geschnätzel von Fischen und nun kommt der Klimawandel noch dazu. Schlussendlich sind es viele verschiedene Faktoren zusammen, die eine grosse Bedrohung für unsere Fischpopulation darstellen.

Wie schlimm steht es denn wirklich um unsere Fische?

Wenn man bedenkt, dass rund drei Viertel aller heimischen Arten bedroht oder ausgestorben sind: katastrophal! Vor allem kältebedürftige Fische wie Forellen und Äschen leiden unter den zunehmend warmen Sommern. Es gibt jedoch auch Gewinner unter den Fischen, die sich in warmen Gewässern erst recht wohl fühlen. Darunter zählen zum Beispiel der Alet oder der Wels. Fische wird es immer geben in der Schweiz, doch wir müssen uns eben an die neuen Arten gewöhnen. Bisher sind in Restaurants Fischarten wie Rotaugen- oder Wels-Filet weniger gefragt, obwohl diese Fische genauso schmackhaft sind wie beispielsweise Egli.

mehrere längliche Fische tummeln im Wasser
Welse sind wegen ihrer Grösse nicht gerade beliebte Zeitgenossen, aber laut Fischprofi Bittner köstliche Speisefische. © Film Studio Aves / iStock / Getty Images

Übrigens: Hast du gewusst, dass die Fische nicht einmal im Nationalpark geschützt sind? Der Schweizerische Fischereiverband setzt sich dafür ein, dass auf nationaler Ebene endlich auch «Fischschutzgebiete» etabliert werden.

Was macht Sie so sicher, dass es immer Fische geben wird in der Schweiz?

Die Problematiken sind spätestens seit der Einführung des neuen Gewässerschutzes vor mehr als 10 Jahren in der Politik angekommen. Es werden in den nächsten Jahrzehnten noch Milliarden von weiteren Franken ausgegeben für Renaturierungsprojekte. Davon versprechen wir uns längerfristig eine wirklich spürbare Verbesserung gegenüber der heutigen Situation. Das Schlimmste könnte uns aber noch bevorstehen – die Talsohle ist wohl noch nicht erreicht. Dies vor allem, weil der Klimawandel viel schneller stattfindet als angenommen und die bestehenden Probleme massiv verschärft.

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