«KI kann Fluch oder Segen für den Klimaschutz sein»
Die Digitalisierung und künstliche Intelligenzen haben ein enormes Potenzial, Treibhausgas-Emissionen zu senken. Allerdings bergen sie auch Risiken. Der Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsexperte Jan Bieser erklärt im Interview, welche Vor- und Nachteile diese neuen Technologien mit sich bringen und worauf wir alle achten können.
Home-Office reduziert den Pendlerverkehr. Streaming-Dienste machen physische Medien überflüssig und künstliche Intelligenz hilft, in der Industrie Energie zu sparen. Digitale Technologien können eine Unterstützung sein, unseren Alltag umweltfreundlicher zu gestalten. Die Global e-Stustainability Initiative schätzt, dass digitale Technologien bis 2030 rund 20% der weltweiten Treibhausgas-Emissionen vermeiden könnten.
Der Technologie- und Nachhaltigkeitsexperte Jan Bieser ist hier weniger optimistisch: Bei der Studie sei das «Best-Case-Szenario» errechnet worden. Und bis ein solches realistisch wird, gebe es noch so einige Knackpunkte zu lösen.
Zur Person: Prof. Dr. Jan Bieser ist Assistenzprofessor für Digitalisierung und Nachhaltigkeit am Institut Public Sector Transformation der Berner Fachhochschule. Zuvor forschte und lehrte Jan Bieser zu Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung am Gottlieb Duttweiler Institut, am Institut für Informatik der Universität Zürich, am Departement für Nachhaltige Entwicklung, Umwelt- und Ingenieurwissenschaften des KTH Royal Institute of Technology in Stockholm und beim Weltwirtschaftsforum (WEF).
Herr Bieser, ist künstliche Intelligenz Fluch oder Segen für die Nachhaltigkeit?
Sowohl als auch. Die Entwicklung, das Training und die Nutzung von KI-Anwendungen benötigt Strom und verursacht CO2-Emissionen. Bei sehr komplexen Anwendungen, die von vielen genutzt werden, können diese erheblich sein. Einer Schätzung zufolge hat die Bereitstellung des Sprachmodells GPT-3 – ein Vorgänger von ChatGPT – etwa 500 Tonnen CO2 verursacht. Dies entspricht etwa dem jährlichen Fussabdruck von 40 Schweizern und Schweizerinnen. Mit der steigenden Nachfrage nach KI steigt auch der Strombedarf und die Emissionen.
In der Anwendung kann KI helfen Emissionen zu vermeiden, diese aber auch erhöhen. Zum Beispiel kann KI beim Einkaufen genutzt werden, um auf umweltfreundlichere Alternativen zu verweisen, aber auch um Werbung zu personalisieren, die uns verlockt, Dinge zu kaufen, die wir eigentlich gar nicht benötigen.
Wie sieht es mit der Digitalisierung allgemein aus?
Ganz ähnlich. Der IT-Sektor insgesamt, also alle Endgeräte wie Smartphones oder Laptops, die Rechenzentren als auch die Telekommunikationsnetze zusammen, verursachen derzeit etwa 2 bis 4 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen, Tendenz steigend. Gleichzeitig können digitale Anwendungen helfen, Emissionen in allen Bereichen wie Verkehr, Gebäude oder Landwirtschaft zu vermeiden.
Wie optimistisch sind Sie selbst, dass uns moderne Technologien in Zukunft mehr nützen als schaden werden?
Das Potenzial der Digitalisierung und der KI für den Umweltschutz ist enorm, besonders wenn wir dadurch Strassen- oder Flugverkehr (z.B. durch Videokonferenzen), den Bau zusätzlicher Gebäude und Flächen (z.B. durch geteilte Arbeitsplätze) oder unnötiges Heizen oder Kühlen (z.B. durch intelligente Gebäudesteuerung) vermeiden können. Wenn wir gezielt klimafreundliche Anwendungen fördern und klimaschädliche Anwendungen unterbinden, dann können wir dieses Potenzial auch ausschöpfen. Dies erfordert koordinierte Anstrengungen von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.
Klimafreundlich wäre es, die Menschen dazu zu bringen, weniger zu kaufen und zu reisen.
Dies ist eine Herausforderung, denn oft existieren Zielkonflikte zwischen Klimaschutz und wirtschaftlichen Zielen. So steigern beispielsweise Handels- und Verkehrsunternehmen ihre Umsätze, wenn die Menschen mehr einkaufen oder mehr reisen. Klimafreundlich wäre es, den Menschen dabei zu helfen, weniger zu kaufen und zu reisen.
Worauf kann man als Privatperson noch achten, um den Energieverbrauch zu minimieren?
Einer der grössten Umweltbelastungen der Digitalisierung entsteht durch die Herstellung der Endgeräte wie Smartphones, Laptops oder Tablets, die sehr energie- und ressourcenintensiv ist. Hier gilt es, möglichst wenig Geräte zu besitzen und diese möglichst lange zu nutzen.
Entscheidend ist aber nicht nur wie viele, sondern auch welche Geräte man nutzt: Smartphones benötigen am wenigsten Strom für das Streamen, gefolgt von Laptops. Smart TVs sind deutlich energieintensiver. Das liegt unter anderem an der Bildschirm-Technologie und -Grösse. Beim Zugangsnetz sollte man tendenziell eher auf kabelgebundene Netze, WLAN oder 5G-Netze setzen. Diese sind energieeffizienter als zum Beispiel mobile 4G-Netze. Letztlich kann man die Menge der zu übertragenden Daten weiter senken, in dem man eine niedrige Auflösung wählt, sofern der Streaming-Anbieter das zulässt.
Ist Homeoffice eigentlich nachhaltiger, als sich ein Büro zu teilen?
Homeoffice ist vor allem dann klimafreundlich, wenn wir dadurch weniger mit dem Auto zur Arbeit fahren. Für Personen, die mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren oder zu Fuss gehen, ist das jedoch nicht so klar. Da hängt es dann auch davon ab, ob zu Hause oder im Büro mehr Energie für Heizen, Kühlung und Beleuchtung von Räumen benötigt wird, und was die Personen mit der gesparten Pendelzeit anfangen.
Wichtig ist, durchs Homeoffice Arbeitsflächen und den Energieverbrauch zu reduzieren.
Da das Auto jedoch bis heute mit Abstand das beliebteste Verkehrsmittel zum Pendeln ist, lohnt sich Homeoffice unterm Strich für das Klima. Wichtig ist, dass Arbeitgeber versuchen, durch das Homeoffice auch Arbeitsflächen zu reduzieren, um den Energieverbrauch für das Heizen, Kühlen und Beleuchten der Arbeitsflächen zu senken. Zusätzlich sollten sie ihre Mitarbeitenden unterstützen mit umweltfreundlichen Verkehrsmitteln zu pendeln, wenn sie zur Arbeit kommen, zum Beispiel durch Zuschüsse für ÖV-Tickets oder E-Bikes.
Weitere Stromspartipps fürs Homeoffice findest du hier.