Müssen wir in der Schweiz mit einer Wasserknappheit rechnen?

19.07.22 - Die Freude über den warmen Sommer beginnt zu bröckeln. Denn die anhaltende Trockenheit macht nicht nur Flora und Fauna zu schaffen, sondern geht auch unseren Gewässern an die Substanz. Wie es aktuell um die Wasserspeicher der Schweiz steht.

Der ausgtrocknete Shilsee 2020
Im vergangenen Sommer war der Shilsee besonders von der Trockenheit betroffen. © Robert Buchel / iStock / Getty Images Plus

Europa steckt in einer Hitzewelle und ein Ende ist nicht in Sicht. Während in Frankreich Wälder brennen und Italien den Dürre-Notstand ausruft, schleicht sich auch im Wasserschloss Schweiz die Frage ein, ob es langsam eng wird.

In einer Tessiner Gemeinde (Mendrisio) wurde die Verwendung von Trinkwasser bereits eingeschränkt: Pflanzen giessen, den Swimmingpool füllen oder das Auto waschen ist damit nicht mehr gestattet. Einige Gemeinden fordern auch in der Deutschschweiz zum Wassersparen auf.

Doch wie steht es eigentlich um unsere Gewässer und die Trinkwasserversorgung? Wir haben mit Michèle Oberhänsli, Hydrologin beim Bundesamt für Umwelt (BAFU) gesprochen.

Reichen die Wasserreserven der Schweiz aus, um trotz Trockenheit eine sichere Wasserversorgung zu garantieren?

Grundsätzlich verfügt die Schweiz über genügend Wasserreserven. Rund 80 Prozent des Trinkwassers wird aus Grundwasser gewonnen, wovon etwa die Hälfte Quellwasser ist. Der restliche Anteil wird aus Seen und Flüssen gewonnen. Auch bei tiefen Grundwasserverhältnissen steht in den grossen Grundwasservorkommen noch ausreichend Wasser zur Verfügung. Bei kleineren lokalen Grundwasservorkommen und Quellen können in Trockenperioden Engpässe entstehen. Folglich kommt es dort zu Aufrufen zum Wassersparen.

Wie steht es um Schweizer Gewässer wie Flüsse und Seen?

Aufgrund des Niederschlagdefizit der ersten Jahreshälfte 2022 liegen die aktuellen Wasserstände der Schweizer Gewässer verbreitet deutlich tiefer als zu dieser Jahreszeit üblich.

Die aktuelle trockene Witterung dauert bereits zwei Wochen an. Die Wasserstände der meisten Flüsse und Seen sanken in den vergangenen Tagen weiter ab. Im Jura, im Mittelland sowie im Südtessin sind die Wasserstände der Flüsse sehr tief. Auch an grösseren Gewässern wie Aare, Reuss, Limmat oder Rhein werden stark unterdurchschnittliche Werte registriert.

Die Wasserstände vieler Schweizer Seen sind unterdurchschnittlich. Stark unterdurchschnittliche Werte werden am Vierwaldstättersee, Walensee und Bodensee sowie am Lago Maggiore und Lago di Lugano gemessen.

Für die nächsten Tage werden weiterhin vorwiegend sinkende Abflüsse vorhergesagt. Die Niedrigwassersituation im Jura, Mittelland und Südtessin verschärft sich somit weiter. Auch die Pegelstände der Seen werden mehrheitlich sinken. In den Alpen intensiviert sich die Gletscherschmelze nochmals und erreicht extrem hohe Werte.

Wie viel müsste es regnen, damit die Pegel der Gewässer wieder steigen und sich die Lage entspannt?

Um die aktuelle hydrologische Lage in der Schweizer Gewässer zu entspannen, bräuchte es sicher zwei mehrtägige, intensive und flächige Niederschlagsereignisse. Diese sind zurzeit nicht in Sicht.

Müssen wir uns aufgrund des Klimawandels in Zukunft häufiger auf Trockenperioden wie diese einstellen?

Mit fortschreitendem Klimawandel nimmt die Tendenz zur Trockenheit weiter zu. Gegen Ende dieses Jahrhunderts könnte eine Trockenheit, wie sie bisher ein- bis zweimal in zehn Jahren auftritt, jedes zweite Jahr auftreten.

Mehr Informationen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Gewässer findest du in den Ergebnissen des BAFU-Projekts «Hydro-CH2018».

Wenn die Trockenheit weiter anhält…

Die Frage, auf welche Massnahmen wir uns bei länger anhaltender Trockenheit einstellen müssen, konnte uns Martin Sager vom Schweizerischen Verein des Gas- und Wasserfaches (SVGW) beantworten:

Sollte die Trockenheit länger andauern, kann es bei kleineren Grundwasservorkommen und Quellen zu lokalen Engpässen bei der Wasserversorgung kommen. Die betroffenen Gemeinden bzw. Wasserversorger würden dann die Bevölkerung auffordern, Wasser zu sparen. Mögliche Massnahmen wären beispielsweise:

  • Verzicht auf das Bewässern von Rasenflächen
  • Verzicht auf das Nachfüllen von Schwimmbädern und Planschbecken
  • Duschen statt Baden
  • Verzicht auf das Waschen von Autos
  • Toilettenspülung mit Spülstopp verwenden
  • Wasser in Küche/Bad nicht unnötig laufen lassen

Auch die Landwirtschaft leidet unter der Trockenheit. Die Wasserentnahme aus öffentlichen Gewässern für die Bewässerung ist bewilligungspflichtig. Wenn die Situation es erfordert, beschliesst die zuständige Behörde Wasserentnahmeeinschränkungen. Mittel- und langfristig ist daher eine standortangepasste Landwirtschaft erforderlich.

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