Etikettenschwindel? So nachhaltig sind klimaneutrale Produkte wirklich

Ist dir beim Einkaufen auch schon aufgefallen, dass immer mehr Produkte mit der Aufschrift «klimaneutral» in den Regalen stehen? Was erstmal vielversprechend klingt, hat mit effektivem Umweltschutz leider wenig zu tun. Denn das Label kann ganz einfach gekauft werden. Das Unternehmen kompensiert seine Emissionen so zwar auf dem Papier, dem Klima nützt das aber nicht viel. So funktionierts.

Eine grafische Darstellung einer Frau mit Einkaufstasche und verschiedenen Produkten
Klimaneutrale Produkte beruhigen zwar das Gewissen, bringen der Umwelt aber wenig. © Irina_Strelnikova / iStock / Getty Images Plus

Klimaneutrale Produkte – das Wichtigste in Kürze:

  • Jedes Unternehmen kann seine Produkte als klimaneutral bezeichnen, wenn es entsprechende CO2-Zertifikate kauft. Zur Definition
  • Der Claim «klimapositiv» geht noch weiter und bedeutet, dass ein Unternehmen mehr als die eigens verursachten Emissionen kompensiert.
  • CO2-neutral oder klimaneutral? Trotz erheblicher Unterschiede werden die Begriffe meist gleich verwendet.
  • Das Problem der CO2-Zertifikate: Der Handel mit CO2-Zertifikaten folgt keinen Gesetzen und ist intransparent.
  • Die Kritik an klimaneutralen Produkten ist berechtigt: Über die Umweltverträglichkeit eines Produkts sagt das Label nichts aus.

Von der Banane übers Shampoo bis hin zur Wandfarbe – immer mehr Produkte werden als klimaneutral angepriesen. Unternehmen können sich die Klimaneutralität mittels Label bestätigen lassen. Ein tolles Verkaufsargument. Denn das Label suggeriert, dass ein Produkt umweltfreundlich und ohne einen grossen Emissionsausstoss produziert wurde. Das ist gut fürs Konsumgewissen – aber nicht unbedingt fürs Klima, wie uns Lene Petersen vom WWF Schweiz erklärt.

Lene Petersen vom WWF
© zVg

Lene Petersen ist Umweltingenieurin und seit 2014 beim WWF Schweiz tätig. Hier übernimmt sie die Verantwortlichkeit für das Thema Klima und Wirtschaft in der Abteilung Sustainable Markets. Unter anderem erarbeitet sie dabei gemeinsam mit Unternehmen wirkungsvolle Strategien für mehr Klimaschutz.

Definition: Was sind klimaneutrale Produkte?

Grundsätzlich kann jedes Unternehmen die eigenen Produkte mit dem Begriff klimaneutral schmücken. Steht auf einem Produkt die Aufschrift klimaneutral, heisst das lediglich, dass der Hersteller die entstandenen Emissionen durch den Kauf der entsprechenden Menge CO2-Zertifikate kompensiert hat. Solche Zertifikate sind über Anbieter wie etwa ClimatePartner erhältlich.

Klimaneutral-Label von ClimatePartner
© Screenshot ClimatePartner

Das hat nur einen Haken, wie Lene Petersen erklärt: «Das heisst keinesfalls, dass irgendwelche verbindlichen Vereinbarungen dazu getroffen werden, wie die Emissionen reduziert werden müssen.» Die Reduktion des eigenen Ausstosses ist keine Voraussetzung, um mit Klimaneutralität werben zu können.

Was ist ein klimaneutrales Unternehmen? Möchte ein ganzes Unternehmen sich als klimaneutral bezeichnen, kann es seine Emissionen ebenfalls durch die Investitionen in Klimaprojekte kompensieren. Dafür ernten Unternehmen jedoch oftmals Kritik. So wurde etwa den Betreibern der Oberengadiner Bergbahnen Greenwashing vorgeworfen, nachdem sie behaupteten, in der Saison 2022/23 würden sie klimaneutrales Skifahren anbieten. Denn die Klimaneutralität soll vor allem durch Kompensation und weniger durch tatsächliches Handeln erreicht werden.

Anders verhält es sich, wenn ein Gebiet, z.B. eine Stadt oder ein Land, Klimaneutralität in der Zukunft erreichen will und hierfür effektive Massnahmen zur Treibhausgasreduktion sowie den Ausbau von CO2-Senken umsetzt.

Gibt es einen Unterschied zwischen klimaneutral und CO2-neutral?

Nicht nur das Schlagwort klimaneutral wird oft verwendet, um das Konsumgewissen anzusprechen. Genauso gut zieht das Argument, CO2-neutral zu sein. Ob klima- oder CO2-neutral, beide Begriffe entsprechen keinen gesetzlichen Standards. Und obwohl sie laut Lene Petersen oft fälschlicherweise als Synonym verwendet werden, unterscheiden sie sich voneinander:

  • Klimaneutral (englisch climate neutral) ist der umfassendere Begriff. Im Bericht «Special Report: Global Warming of 1.5 ° C» vom Weltklimarat (IPCC) wird Klimaneutralität zusammengefasst als Zustand, in dem menschliche Aktivitäten keine Netto-Auswirkungen auf das Klima haben.
  • CO2-neutral (englisch carbon neutral) beschränkt sich – wie der Name schon sagt – auf das Treibhausgas CO2.

Gut fürs Klima? Das bedeutet «klimapositiv»

Vielleicht hast du im Ladenregal sogar schon mal ein klimapositives Produkt entdeckt. Mit diesem Etikett will das unternehmen zeigen, dass es nicht nur die eigenen Emissionen kompensiert, sondern darüber hinaus weitere CO2-Zertifikate kauft. Auch die Aufschrift «klimapositiv» kann ein Produkt also allein durch Kompensation erhalten, das Produkt selbst hat dadurch aber keine positive Wirkung auf das Klima.

Ein Beispiel: Das Unternehmen PPURA aus Dulliken (SO) stellt Pesto, Pasta & Co. in Bio-Qualität her, die klimapositiv zertifiziert sind. Für diese Bezeichnung setzt es auf eine Produktion mit erneuerbaren Energien und transportiert die Produkte vom Produktionsort in Italien mit dem Zug in die Schweiz. Das CO2, das trotz einsparender Massnahmen anfällt, kompensiert PPURA über internationale Klimaschutzprojekte. Laut eigenen Aussagen wird der Ausstoss doppelt kompensiert, weshalb die Produkte die Aufschrift «CO2-neutral» und «klimapositiv» tragen.

Wie funktioniert der Handel mit CO2-Zertifikaten?

Mit jedem Klimaschutzprojekt wird CO2 eingespart oder dessen Ausstoss vermieden. Wie viel, wird in einer digitalen Datenbank festgehalten. Unternehmen können dann Anteile an diesen Einsparungen kaufen – in Form von CO2-Zertifikaten. Kauft ein Unternehmen eine bestimmte Menge an Zertifikaten, werden diese aus der Datenbank gelöscht.

Gehandelt werden die Zertifikate über zwei verschiedene CO2-Märkte . «Auf dem sogenannten Compliance-Markt werden die Zertifikate unter den Ländern gehandelt. Dieser Markt hat klare Regeln, die von den Vereinten Nationen aufgestellt wurden,» erklärt Lene Petersen. Die Unternehmen bewegen sich auf dem freiwilligen Markt. «Dieser freiwillige Markt ist nicht reguliert. Hier kann im Grunde jeder selbst einen Standard festlegen und entsprechende Zertifikate verkaufen,» weiss Lene Petersen.

Wie sinnvoll sind CO2-Zertifikate?

Die Schwierigkeit beim Handel mit CO2-Zertifikaten liegt aber nicht nur in fehlenden Reglungen. «Die eingesparte Tonne CO2 ist nicht unbedingt gleichwertig mit der Tonne, die ausgestossen wurde,» gibt Petersen zu denken. Das CO2, das ausgestossen wird, bleibt rund 1'000 Jahre in der Atmosphäre. Kein einziges Klimaschutzprojekt, das Zertifikate ausgibt, kann die Einsparung oder Reduktion von CO2 über diesen Zeitraum garantieren.

Ein Ausgleich wird nie eins zu eins stattfinden können.

«Die Währung ist nicht die gleiche. Ein Ausgleich kann darum nicht eins zu eins stattfinden,» betont Petersen.

Ein aufgeforsteter Mangrovenwald
Wie lang ein aufgeforsteter Mangrovenwald bestehen bleibt, ist im Vorhinein nicht planbar. © Veruree Apisitamornkul / iStock / Getty Images Plus

Warum die Kompensation von CO2 nicht aufgeht

Hinzukommt, dass der Handel mit Zertifikaten laut Petersen nicht mehr zeitgemäss ist. Der Kompensationsmechanismus wurde 2008 unter dem ersten internationalen Klimaabkommen, dem Kyoto-Protokoll, entwickelt. Das Kyoto-Protokoll setzte nur für entwickelte Länder Klimaziele. Um diese zu erreichen, konnten die Industriestaaten sich die Unterstützung von Klimaprojekten in Entwicklungsländern anrechnen lassen. Auch damals gab es bereits das Problem des Nullsummenspiels (jemand reduziert Emissionen, während jemand anderes sie weiterhin verursacht).

Im Jahr 2020 wurde das Kyoto-Protokoll durch das Pariser Abkommen abgelöst. Seither sind die Rahmenbedingungen anders: Jetzt haben alle Länder Klimaziele und brauchen Treibhausgasreduktionen für die Erreichung ihrer eigenen Klimaziele. Petersen erklärt: «Der Handel mit Zertifikaten ist nun noch problematischer.» Es besteht jetzt zusätzlich die Gefahr, dass die Reduktionen doppelt angerechnet werden: einmal im Land, in dem das Klimaprojekt stattfindet und ein zweites Mal durch den Verkauf von entsprechenden CO2-Zertifikaten.

Die Kritik an klimaneutralen Produkten

Klimaneutrale Produkte oder Unternehmen stehen immer wieder in der Kritik: Denn im Begriff Klimaneutralität schwingt mit, dass ein Produkt besonders umweltverträglich ist. Doch über das Produkt selbst sagt das Label wenig aus und auch die Kompensation von Emissionen ist wie oben aufgezeigt keine Garantie für echten Umweltschutz. «Der Claim ist irreführend,» kritisiert Petersen. Das sei umso problematischer, da das Label klimaneutral sogar zum Kauf eines Produkts anregen können. «Klimaneutral müsste bedeuten, dass ein Produkt keine Auswirkungen auf das Klima hat, was de facto nicht so ist.»

Fazit: Sollte man klimaneutrale Produkte kaufen oder besser meiden?

Beim Claim «klimaneutral» handelt es sich in erster Linie um gutes Marketing. Einen grossen Mehrwert fürs Klima wirst du mit dem Kauf solcher Produkte wohl nicht bewirken. Der Kauf von CO2-Zertifikaten ist für Unternehmen einfach eine simple und kostengünstige Möglichkeit, die eigenen Produkte als nachhaltig anzupreisen. Der Kompensationsmechanismus ist jedoch kaum nachvollziehbar und bietet nicht in jedem Fall einen Mehrwert für die Umwelt.

Es ist erfreulich, wenn Unternehmen etwas zum Klimaschutz beitragen wollen. Um ihre Bemühungen glaubhaft zu machen, sollten sie vor allem ihre eigenen Emissionen reduzieren und dort auch den Schwerpunkt ihrer Kommunikation legen. «Zusätzlichen Klimaschutz zu finanzieren bleibt enorm wichtig und Alternativen zur CO2-Kompensation gibt es», sagt Lene Petersen und verweist auf eine kürzliche WWF-Publikation, in welcher das Nachfolgemodell der CO2-Kompensation vorgestellt wird

Ob nun mit oder ohne Label – wichtig ist, bei jedem Kauf zu hinterfragen, welchen Impact ein Produkt hat. Ist ein To-go Kaffeebecher aus Kunststoff beispielsweise mit Klimaneutral-Label versehen, handelt es sich dabei immer noch um ein Wegwerfprodukt, das per se nicht gut für die Umwelt ist.

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