Warum wir Klimaangst haben und wie wir sie nutzen können
Was passiert, wenn die Erderwärmung die 1,5-Grad-Marke überschreitet? Wie stark wird die nächste Generation die Folgen zu spüren bekommen und was passiert in Küstenregionen, die schon jetzt regelmässig überschwemmt werden? Diese Fragen lösen bei einem immer breiteren Teil der Bevölkerung Angst aus – Klimaangst. Doch das muss nichts Schlechtes sein.
«I want you to panic!» Mit diesem Satz trifft Greta Thunberg bei mir genau ins Schwarze. I already do. Dabei spricht die Frontwoman der Fridays-for-Future-Bewegung auf dem Wirtschaftsforum in Davos 2019 in erster Linie jene an, die am «grossen Hebel» sitzen: Politikerinnen und Politiker sowie Verantwortliche für weltführende Konzerne, die gigantische Mengen CO2 in die Luft blasen.
Sie selbst fühle diese Angst jeden Tag, schiebt Greta hinterher. Klimaangst ist heutzutage ein nahezu kollektives Gefühl der Klimajugend – oder besser gesagt aller Menschen, die die Klimakrise als ernsthafte Bedrohung ansehen.
Was ist Klimaangst?
Klimaangst, im englischen Climate Anxiety, bezeichnet die Angst vor dem Klimawandel und seinen Folgen. Eine psychiatrische Diagnose gibt es für diese Angst nicht. Vielmehr beschreibt der Begriff den Zustand, wenn man sich täglich um die Erderwärmung und die daraus resultierenden Folgen sorgt. Oftmals geht damit auch ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Klimakrise einher.
Marie, Sympathisantin von Renovate Switzerland, fasst das Gefühl wie folgt zusammen: «Ich kann mir im Moment keine schöne Zukunft vorstellen. Ich habe Angst um mich, um meine Familie und Kollegen. Ich habe Angst, rund um mich nur noch Leid und Tod zu sehen. Wenn ich an die Zukunft meiner acht Nichten und Neffen denke, muss ich weinen.»
Zur Person
Marie ist 34 Jahre alt, lebt in Zürich und hat sich dieses Jahr entschieden, ihren Job zu kündigen und vollzeit für die Kampagne Renovate Switzerland zu arbeiten.
Klimaangst: Ein problematischer Begriff?
Der Begriff Klimaangst wird heute nahezu inflationär benutzt. Die Organisation Psychologists for Future betrachtet das kritisch. Ihre Befürchtung: Der Begriff selbst werde zum Phänomen, welches droht, die Klimakrise zu verdecken. «Wenn nämlich die Angst vor den Auswirkungen der Klimakrise zunehmend pathologisiert wird, rückt eine zu überwindende Angst in den Fokus der Bemühungen. Die Klimakrise würde damit individualisiert werden und als ein individuelles Anpassungsproblem erscheinen. Dabei geht es eigentlich um eine globale Bedrohung, die nur gesellschaftlich-politisch überwindbar ist.»
Info: Pathologisch bedeutet krankhaft. Wird ein Zustand oder ein Gefühl «pathologisiert», heisst das, dass es als etwas Krankhaftes dargestellt wird, obwohl es das nicht unbedingt ist.
Auch Prof. Dr. Christina Tobler betont, dass der Begriff genauer differenziert werden müsse. Schon deshalb, weil er nicht ganz korrekt ist. Schliesslich habe man keine Angst vorm Klima selbst, sondern vor dem Klimawandel respektive dessen Folgen. «Ausserdem ist Angst häufig etwas Lähmendes. Und wenn man den Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten etwas nicht vorwerfen kann, dann, dass sie gelähmt sind.» Daher verwendet sie lieber den Begriff Klimabesorgnis oder, noch weniger emotional: Klimabewusstsein.
Marie sieht den Begriff ebenfalls problematisch: «Das Passive am Begriff ‘Klimaangst’ finde ich beängstigend. Entscheidend ist, was man aus dieser Angst macht. Für mich ist Angst ein erster, notwendiger Schritt, um zu handeln.»
Zur Person
Prof. Dr. Christina Tobler ist Professorin für Wirtschaftspsychologie. Sie forscht und lehrt an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW, unter anderem das Modul «Psychology of Sustainable Behavior». Sie hat sich schon in ihrer Dissertation mit dem Thema Wissen und Einstellungen zum Klimawandel in der Bevölkerung auseinandergesetzt.
Immer mehr Menschen fühlen Klimaangst
Im November 2022 hat die Credit Suisse das Sorgenbarometer des Jahres veröffentlich. Hierfür wurden 1774 Stimmberechtigte aus der gesamten Schweiz dazu befragt, um was sie sich aktuell am meisten sorgen. Mit 39 Prozent an erster Stelle: Umweltschutz und Klimawandel sowie damit einhergehende Umweltkatastrophen.
Dass immer mehr Menschen Klimaangst oder eben Klimabesorgnis wahrnehmen, führt Prof. Dr. Christina Tobler darauf zurück, dass der Klimawandel in den letzten Jahren sichtbarer geworden ist. «Unmittelbare und persönliche Bedrohungen, wie etwa Arbeitslosigkeit, werden generell schneller wahrgenommen als etwas, was nicht unmittelbar erlebbar ist. Der Klimawandel war lange unsichtbar, doch beispielsweise die Zunahme von Wetterextremen machte ihn in den letzten Jahren spürbarer.»
Wie entsteht Klimaangst?
Gerade weil die Auswirkungen des Klimawandels in der Schweiz zeitlich versetzt und schleichend erfolgen, ist der Klimawandel weniger spürbar und Klimaangst daher eher ein unterschwelliges Gefühl. Denn so richtig lässt sich noch immer nicht greifen, was genau passieren wird, wenn wir weitermachen wie bisher.
Tobler erklärt: «Angst wird durch verschiedene Mechanismen ausgelöst. Allen voran steht die Risikoeinschätzung: Wie bedrohlich ist ein Ereignis und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Ereignis eintritt? Und wie betroffen wäre ich persönlich von dieser Bedrohung? Wenn ich erkenne, dass ich selbst oder auch andere von etwas stark bedroht sind, löst das Angst in mir aus. Es geht also um eine Bewertung von Bedrohlichkeit und Wahrscheinlichkeiten.»
Warum manche mehr von Klimaangst betroffen sind als andere
Sorgen um die Folgen des Klimawandels für einen selbst sowie für folgende Generationen und ganze Ökosysteme kann sich also nur machen, wer die Bedrohung wahrnimmt. «Ich brauche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die den Klimawandel belegen, gerade weil es dabei um etwas geht, was wir nicht jeden Tag unmittelbar wahrnehmen. Diesen Fachpersonen muss ich zudem vertrauen, um die Bedrohung zu erkennen», erklärt Tobler.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gibt es zur Genüge, die aufzeigen, wie der menschengemachte Klimawandel sich auf Ökosysteme auswirkt. Daher stelle ich mir die Frage: Warum gibt es dann noch immer so viele Menschen, die diese Bedrohung nicht wahrhaben wollen?
«Wenn ich den Klimawandel ernst nehme, muss ich mein Verhalten grundlegend ändern. Bequemer ist es, sich die Informationen auszusuchen, die die eigene These stützen. Und seien wir ehrlich: Das machen wir doch alle manchmal, das ist etwas ganz Menschliches.»
Damit hat sie mich. Denn obwohl ich der Wissenschaft glaube und mir grosse Sorgen um die Folgen des Klimawandels mache, fallen mir nachhaltige Entscheidungen manchmal schwer. Das weiss auch Tobler und weist auf das Phänomen der kognitiven Dissonanz hin: «Wenn ich einen Widerspruch zwischen meinem Verhalten und meinem Wissen oder meinen Einstellungen erlebe, tritt eine unangenehme Spannung auf. Diese Spannung kann man reduzieren, indem man die Diskrepanz rechtfertigt. Dann rettet man sich beispielsweise mit Aussagen wie ‘meine Freundin fliegt auch mehrmals im Jahr, dann macht es nichts, wenn ich auch einmal in den Flieger steige.» Sie beschreibt dieses Verhalten als «Dissonanz-Reduktion», als Schonmechanismus mit dem Zweck, das eigene Wohlbefinden nicht zu gefährden.
Klimaangst hat auch etwas Positives
Dabei kann es auch förderlich sein, wenn das eigene Wohlbefinden durch Klimabesorgnis ins Wanken gebracht wird. So wird auf der offiziellen Webseite der Psychologists for Future festgehalten: «Ängste und Sorgen sind […] nicht per se ‘schlecht’ – das wäre eine unzulässige und fahrlässige Wertung. Sie haben adaptive Funktionen, nämlich angemessen und effektiv auf Bedrohungen zu reagieren, auch auf komplexe, nicht sofort sichtbare Bedrohungen. Sie wirken als Signal und Motivator – und erfüllen im gesellschaftlichen Kontext zudem eine Rolle als wirkmächtiges politisches Motiv.»
Wie kann ich mit Klimaangst umgehen?
Vor kurzem bin ich an einem Satz in Juli Zehs Roman «Über Menschen» hängengeblieben:
«Die apokalyptischen Szenarien schlugen ihr aufs Gemüt. Laut der Weltdatenbank sollte es in den nächsten dreissig Jahren 140 Millionen Klimaflüchtlinge geben. Die Zahlen lähmten Dora. Weltrettung in solchen Dimensionen war eine Menschenunmöglichkeit.» (S. 68)
Dieses Szenario spiegelt die andere Seite wider – wenn nämlich die Angst vor den Folgen des Klimawandels doch lähmend wirkt, etwa aufgrund unvorstellbar hoher Zahlen. Aus «nur noch kurz die Welt retten» wird in Anbetracht der Tatsachen wohl nichts mehr. Auf meine Frage, wie man diese Angst stattdessen nutzen könne, antwortet Tobler:
«Es ist wichtig aufzuzeigen, was man alles tun kann. In einer Demokratie sind wir alles andere als machtlos. Welche Regierung an der Macht ist hat einen direkten Einfluss auf die Klimapolitik – und die Regierung wird durch uns gewählt. Aber auch unser Konsum, insbesondere unsere Ernährung und unser Mobilitätsverhalten haben einen grossen Einfluss auf das Klima.»
Sie betont aber auch, dass wir bei nachhaltigem Handeln schnell dazu neigen, einen Trade-off einzugehen. Ganz nach dem Prinzip der Dissonanz-Reduktion: «Ich recycle immer meine PET-Flaschen, dann kann ich auch einmal fliegen.» Aber Klimaschutz sei eben kein Ablasshandel: «Man kann nicht eines dieser Verhalten mit dem anderen ‘ausgleichen’, da das eine einen extrem hohen Climate Impact hat und das andere einen sehr viel geringeren.»
Marie erzählt uns, dass es ihr helfe, Menschen für den Widerstand zu mobilisieren. «Es tut mir gut zu sehen, dass viele Menschen weltweit diese Angst teilen und nicht mehr passiv zuschauen wollen, wie ihre Zukunft untergeht.» Mit den Menschen von Renovate Switzerland zusammen zu sein, gebe ihr Kraft und den Mut, sich weiterhin zu engagieren.
Eigene Meinung: Nicht zuletzt haben auch die Medien hier eine grosse Verantwortung. In den vergangenen Jahren prangerten in erster Linie negative Schlagzeilen auf Frontseiten, wenn es um den Klimawandel ging. Diese schüren eher die Angst, als dass sie dazu motivieren, aktiv zu werden. Neben Aufklärung über die Geschehnisse ist es auch wichtig, aufzuzeigen, welche Handlungsmöglichkeiten wir haben, um das Blatt noch zu wenden.