Gemüse auf 14 Etagen: Das ist die grösste vertikale Farm Europas

Tonnenweise Gemüse und Kräuter auf kleinster Fläche klimaneutral mitten in der Stadt anbauen? Was wie eine Utopie klingt, ist bereits seit 2021 in Kopenhagen mit der grössten vertikalen Farm Europas umgesetzt worden.

Kopenhagen hat grösste Vertikale Farm Europas

Von der urbanen Utopie zur Realität

Vertical Farming galt jahrzehntelang als schwer zu realisierende Zukunftsmusik. Doch vieles sprach für die Idee. Weite Transporte von Lebensmitteln, stetig steigender Landverbrauch, hoher Ressourceneinsatz und Umweltbelastung sollten einer hocheffizienten, ganzjährigen, ressourcenschonenden und verbrauchernahen urbanen Landwirtschaft weichen. Gegner meinten, die immensen Stromkosten für die Beleuchtung, das kostenintensive Gebäude und die schwierig zu entwickelnde Gebäudetechnik würden die Vorteile überwiegen.

Heute ist es so, dass solche vertikalen Farmen immer häufiger gebaut werden. Asiatische Länder und die USA sind hier Vorreiter. Europa hat ein paar wenige kleinere Projekte, die Idee selbst steckte im Abendland lange in den Kinderschuhen. Sprichwörtlich ging den Europäern in dieser Sache noch kein Licht auf.

Nachhaltigleben

Bis jetzt, denn das dänische Start-up Nordic Harvest und sein taiwanesischer Partner, der Vertical Farming-Spezialist YesHealth, setzen in Kopenhagen ganz aktuell ein einmaliges Projekt um: Europas grösste vertikale Farm. Unter Volllast, welche ab 2022 geplant ist, werden hier drei Tonnen Gemüse und Kräuter geerntet – pro Tag. In der Jahressumme sind das stolze 1000 Tonnen Essbares. Und bereits im ersten Jahr soll das Projekt schwarze Zahlen mit den zunächst 200 Tonnen Erzeugnissen schreiben.

Die Vertical Farm von Nordic Harvest

Während es nicht ganz so verwunderlich ist, dass diese Form der urbanen Landwirtschaft in räumlich begrenzten Ländern oder Städten forciert wird – Japan hat alleine 200 vertikale Farm-Projekte –, mag es für Dänemark zunächst erstaunlich sein.

Doch, die Vorteile liegen auf der Hand. Im Falle der Kopenhagener Farm hat das Gebäude 7000 Quadratmeter Anbaufläche. Dies klingt zunächst nicht nach viel, doch da kommt das ‚Vertikale‘ mit insgesamt 14 Etagen ins Spiel.

365 Tage im Jahr hohe Ernteerträge

Ein weiterer Vorteil ist der 365-Tage-Anbau von bis dato 20 Blattgemüse-, Salat- und Kräutersorten. Dank den ganzjährig optimalen Bedingungen, so der CEO von Nordic Harvest, Anders Reimann, ist es möglich, 15 Mal im Jahr zu ernten. Die konventionelle Landwirtschaft schafft es dagegen lediglich auf zwei, vielleicht drei Erntedurchgänge in einer Saison. Unter den optimalen Bedingungen wachsen aktuell unter anderem Rucola, Salatmischungen, Grünkohl, Minze, Basilikum oder Koriander.

Praktisch alles läuft hier automatisch. Und dies von der Aussaat über die Pflege bis zur Ernte. Roboter und eine High-Tech-Gebäudeautomation machen dies möglich. Es wird mit organischem Dünger aus Fermenten gearbeitet, mit Mikrobiologie oder einer ausgeklügelten Wasserreinigung für den hydroponischen (substratfreien) Anbau. Laut YesHealth sei die in 10 Jahren entwickelte Anbaumethode doppelt so effektiv wie bisherige Vertical Farming-Systeme.

Weitere Vorteile, auch für Verbraucher*innen

Neben der Erntemenge ist es der schonende Einsatz der Ressourcen, der begeistert. So spart die Inhouse-Anbaumethode zwischen 70 und 95 Prozent Wasser ein, verglichen mit einer üblichen Freilandkultur und eine ansonsten übliche Wäsche des geernteten Produktes entfällt auch.

Nordic Harvest verzichtet zudem – üblich in vertikalen Farmen – auf jegliche Pestizide. Wie es bei Yes Health heisst, seien vergleichsweise niedrige Nitratwerte zu verzeichnen, was auch auf die Verwendung eines hausgemachten Biodünger zurückzuführen ist, und die Gefahr der Kontamination mit dem Bakterium E. coli sei nicht gegeben.

Nachhaltigleben

Verbraucherinnen und Verbrauchen würden indes von einem grösseren Geschmackserlebnis und dem hohen Gehalt gesunder Inhaltsstoffe profitieren, verglichen mit dem konventionellen Anbau. Die ausgeklügelte Logistik könne zudem die Haltbarkeit der geernteten Lebensmittel erhöhen, denn: In lediglich 15 Minuten wäre das Produkt nach der Ernte im Kühlhaus für die weitere Logistik. Das sorge dafür, so Anders Reimann, dass beispielsweise Salat 10 Tage nach der Ernte noch absolut knackfrisch ist.

Produktion ist klimaneutral

Auch wenn modernste LED-Technik mit 20‘000 Leuchtelementen eingesetzt wird, ist der Stromverbrauch immens. Dennoch produziert Nordic Harvest sein knackiges Grün zu 100 Prozent klimaneutral. Der Grund: Die Kopenhagener setzen auf Windstrom, der nicht nur dank der Meeresnähe in Hülle und Fülle bei den Dänen, übrigens die Erfinder der Windkraft, vorhanden ist. Zum Vergleich: Die Schweizer Landwirtschaft trägt heute noch 17 Prozent zum Gesamtausstoss an Treibhausgas-Emissionen im Land bei.

In den nächsten fünf bis zehn Jahren soll das Sortiment stetig ausgebaut werden. So soll einst nicht nur Wurzelgemüse aus der vertikalen Farm kommen. Auch Beerenobst wie Erdbeeren und Blaubeeren stehen auf dem Anbauplan der Zukunft. Selbst über den Kartoffelanbau denkt Anders Reimann nach.

Geburt einer neuen Industrie der Unabhängigkeit

Reimann in einem TV-Interview: «Dies ist die Geburt einer [neuen Anm. d. Redaktion] Industrie. Und es gibt mehr und mehr Unternehmen, die in die Innovationen dieser Industrie investieren.» Seine Vorstellung ist es, dass diese Industrie schnell wächst und man die Jahrhunderte währende Entwaldung für die Landwirtschaft so wieder rückgängig machen könne. Sein nobler Wunsch ist es, dass Mensch und Natur wieder in einer Balance leben.

Anders Reimann gibt übrigens ein sehr aktuelles Beispiel zu bedenken: Als in Corona-Zeiten die ersten Grenzschliessungen kamen wurde so manches Lebensmittel knapp. Mit der vertikalen Urban Farm und der damit verbundenen hocheffizienten, lokalen Produktion von Lebensmitteln ergibt sich hier eine gewisse Unabhängigkeit.

Weitere vertikale Nordic Harvest-Farmen sind heute schon in der Planung.

Fotos © zVg Nordic Harvest

 

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