Berner Radiesli: Mit und für den Konsumenten Gemüse anbauen
Ein Feld so gross wie ein Fussballplatz, viele willige Helfer, die dabei sind, Gemüse anzubauen, und Woche für Woche einen ganzen Sack voll davon erhalten. Das ist die noch nicht allzu häufig in der Schweiz praktizierte Vertragslandwirtschaft. Der Konsument wird zum Produzent, der Produzent ist Konsument. Nachhaltiger geht es kaum. So wie beim Berner Radiesli.
Seit 2012 können Berner vor den Toren der Stadt in der Erde wühlen, Unkraut jäten und sich auf die Ernte freuen. Ganz ohne eigenen Garten, aber mit nicht minder schmutzigen Händen und grosser Ernte. Das Ziel des Vereins radiesli: Gemeinsam knackig frisches Gemüse mit Herkunftsnachweis selber anbauen, um es später in der eigenen Küche zuzubereiten. Darauf schwören derweil 200 Mitglieder des Vereins. Das radiesli ist ein Schritt zurück, beim Konsum und beim Umgang mit Lebensmitteln überhaupt. Dem eigenen Gemüse beim Wachsen zuschauen, es hegen, pflegen und sich auf den späteren Genuss in garantierter Bio-Qualität freuen. Im Idealfall noch am Morgen geerntet.
Bild: 1 von 7
Der Verein radiesli revolutioniert die Landwirtschaft. Zumindest in Bern und für seine 200 Mitglieder. radiesli ist eine Vertragslandwirtschaft, in der alle gemeinsam ihr Biogemüse anbauen. Ein tolles Projekt mit vielen Nachhaltigkeitsaspekten. Foto: © Radiesli Bern
Vertragslandwirtschaft: Grenzen zwischen Produzent und Konsument verschwimmen
Die Vertragslandwirtschaft so wie sie radiesli betreibt setzt voraus, dass das Mitglied und der spätere Gemüseabonnent einen oder mehrere Anteilsscheine erwirbt. Es gibt Formen der Vertragslandwirtschaft, in denen dies lediglich durch ein wöchentliches Gemüseabo honoriert wird. Im Falle des Berner radiesli indes verpflichten sich die Mitglieder an mindestens acht Halbtagen im Jahr tatkräftig mit anzupacken. Das kann Beet hacken und jäten sein, das wöchentliche Packen der prall gefüllten Gemüsetaschen für die Abonnenten oder im einfachen Fahrdienst zu den Konsumenten in unmittelbarer Nähe. Zwar kümmern sich zwei Gärtnerinnen die meiste Zeit um den Anbau, doch das Mitmachen macht die Kosten sehr plan- und überschaubar und viele bestätigen, dass sie richtig viel Spass an der Arbeit auf dem Acker haben.
Der grosse Vorteil für Produzenten wie radiesli: Eine absolute Planbarkeit des Fruchtanbaus. Da gibt es keine Überschussproduktion, kein hässliches, zu grosses oder zu kleines Gemüse. Was angebaut wird kommt auch garantiert ins Sackerl und so zu den Konsumenten. Doch es gibt noch weitere Vorteile, die für solch einen Gemüseanbau sprechen. Denn neben den kurzen Transportwegen und der kleinen Struktur ohne Grosshandel oder Verteiler, gibt es maximale Frische auf den Tisch. Bioanbau inklusive.
Der Laie kann sich vielleicht schwer vorstellen, was man so auf einem etwa Fussballfeld grossen Acker ernten kann. Auf Nachfrage verriet uns Gärtnerin Marion Salzmann, dass alleine in der letzten August-Woche 80kg Tomaten, 110 Auberginen, 110 Maiskolben, 110 Zucchetti, etwa 200 Gurken, 300 Fenchel, 110 Salate, 25 Kilo Bohnen und diverse Kräuter über das Gemüseabo verteilt wurden. Dazu wurden bereits 500 Kilo Zwiebeln geerntet und alle freuen sich bereits jetzt auf mehrere hundert Kilo Randen oder Karotten.
Das bekommen die Abonnenten des radiesli beispielsweise in einer Augustwoche geliefert. © Foto: radiesli
Einmischung ausdrücklich erwünscht
Um Einmischung wird bei radiesli übrigens eindeutig gebeten. Ein weiterer Vorteil des Projekts, denn dadurch können in der Gemeinschaft die saisonal angebauten Gemüsesorten sogar selbst bestimmt werden. Deren Vielfalt ist wesentlich höher, als das Einerlei aus dem Supermarkt.
Vertragslandwirtschaft radiesli – hier ist der Name Programm und eine bodenständige, bis ins Detail nachhaltige Landwirtschaft, wie sie gerne Schule machen darf, ist garantiert. Wirklich bis ins letzte Detail. Denn das radiesli-Feld liegt direkt an einer Bahnstation und ist vom Mitglied auch per Velo super zu erreichen. Sogar die Setzlinge werden ausnahmslos selbst gezogen. Letztes Jahr waren es 40‘000. Nur zwei Einschränkungen gibt es beim radiesli: Etwa 1,5 Tonnen Kartoffeln kommen vom Nachbarbauern und im Winter gibt es nur alle zwei Wochen einen Sack voll Gemüse. Zwar wird auch weniger Empfindliches wie Nüsslisalat oder Ruccola unter Folie gezogen, doch mehr gibt eine natürliche Bewirtschaftung im alpenländischen Klima einfach nicht her, baut man ohne klimatisierte Gewächshäuser Gemüse an.
Es gibt bis dato in der Schweiz einige weitere Projekte, bei denen solidarische Vertragslandwirtschaft betrieben wird. Zusammen mit vielen Urban Gardening Projekten und dem wachsenden Trend zum Urban Farming, entsteht Schritt für Schritt eine Gegenbewegung zum gedankenlosen Überkonsum, der jahrzehntelang mit vielen Folgen betrieben wurde. Best-Practice-Beispiele in Sachen Nachhaltigkeit.
Quellen: www.radiesli.org, Text: Jürgen Rösemeier-Buhmann