Herr Jungbluth, warum ist unsere Lebensmittelpyramide veraltet?

Gesunde Ernährung ist nicht automatisch nachhaltig. Eine neue Studie zur Schweizer Lebensmittelpyramide zeigt auf, dass eine Überarbeitung in Hinblick auf die Umweltverträglichkeit unseres Essverhaltens notwendig wäre. Wir haben mit dem Verfasser gesprochen und wollen wissen: Wie würde eine angepasste Lebensmittelpyramide aussehen?

Eine Waare mit Käse auf der einen, Broccoli auf der anderen Seite
Tierische Produkte haben einen wichtigen Stellenwert in der Lebensmittelpyramide – bis jetzt. © Martin Barraud / Getty Images

Die Schweizer Lebensmittelpyramide dient als Leitfaden für eine gesunde Ernährung. Doch zeitgemäss ist sie nicht. Deshalb will das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) die 2011 erstellte Lebensmittelpyramide überarbeiten – und dabei auch die Umwelteinflüsse unserer Ernährung miteinbeziehen.

Das auf Ökobilanzen spezialisierte Unternehmen ESU-services erstellte jetzt eine Studie, welche die Ökobilanzen vieler Lebensmittel unter die Lupe nahm und daran anknüpfend die bestehende Lebensmittelpyramide ergänzte.

Im Interview sagt Dr. Niels Jungbluth, Eigentümer und Geschäftsführer von ESU-services, warum eine Überarbeitung der Lebensmittelpyramide mit Schwerpunkt auf die Umweltbilanz so wichtig ist.

Herr Jungbluth, warum ist es wichtig, dass die Schweizer Lebensmittelpyramide überarbeitet wird?

Die Lebensmittelpyramide basiert bisher hauptsächlich auf gesundheitlichen Überlegungen. Also darauf, welche Nährstoffe und Vitamine wir brauchen und über welche Lebensmittel wir sie aufnehmen. Diese vom Bundesamt herausgegebenen Empfehlungen stellen eine Grundlage dar für Köche, für die Hauswirtschaftslehre in der Schule sowie für Ärzte und Ernährungswissenschaftlerinnen. Sie gilt als manifestiertes Wissen darüber, was gesund ist.

Wir wissen aber inzwischen, dass die Ernährung auch indirekte gesundheitliche Auswirkungen hat. Sie macht etwa 20 bis 25 Prozent der Umweltbelastung aus, die wir in der Schweiz verursachen. Und diese Umweltbelastungen wirken sich wiederum auf unsere Gesundheit aus. Wenn der durch Methanemissionen der Kühe vorangetriebene Klimawandel etwa für heissere Temperaturen sorgt, Pestizide ins Trinkwasser gelangen und es durch Lebensmitteltransporte zu Luftverschmutzung kommt, wirkt sich das nicht nur auf die Umwelt, sondern auch auf die menschliche Gesundheit aus.

Deshalb sind wir der Meinung, dass eine nachhaltige Ernährungsempfehlung sich nicht prioritär auf die direkten Gesundheitsaspekte fokussieren sollte, sondern auch die Umweltbelastungen im Auge behalten muss.

Die aktuelle Lebensmittelpyramide des Bundes
Die aktuelle Lebensmittelpyramide des Bundes. © Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen

Hätten tierische Produkte in einer nachhaltigen Ernährungsempfehlung überhaupt noch einen Platz?

Viele grundlegende Themen der gesunden Ernährung wie weniger Fett, Zucker und Alkohol und stattdessen frisches Gemüse sind sowohl für die Gesundheit als auf für die Umwelt gut. Geht es aber um tierische Produkte, gibt es Widersprüche. Wenn die Ernährungspyramide zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen empfehlen würde, einmal die Woche Fisch zu essen, muss man sagen: Das ist in Hinblick auf unsere Ökosysteme völlig unmöglich. Seefisch ist heute schon eine knappe Ressource, die global kaum in entsprechenden Mengen zur Verfügung steht

Also sollte man ganz auf tierische Produkte verzichten?

Betrachtet man allein die Ökobilanzen von Lebensmitteln, ist die vegane Ernährung die beste. Für eine In spielen aber noch andere Aspekte mit hinein. Ein wesentlicher Punkt für die Schweiz ist zum Beispiel, dass wir über viel Grasland verfügen, welches vor allem durch weidende Kühe und Schafe genutzt werden kann. Diese Alpwiesen kann man für die menschliche Ernährung nicht anders brauchen.

Hier ist es wichtig, einen Kompromiss zwischen Umwelt und anderen Aspekten zuzulassen, statt eine grosse Revolution anzuzetteln. Konkret heisst das: Ackerflächen nicht mehr für den Anbau von Tierfutter zu verwenden und keine Soja und andere Futtermittel mehr für diesen Zweck zu importieren. Dadurch würde uns etwa ein Drittel der Menge an Fleisch zur Verfügung stehen, die wir heute verzehren. Aus Umweltsicht ist der jetzige Konsum tierischer Produkte eindeutig nicht nachhaltig und es muss eine starke Reduktion geben. Stattdessen müssen wir stärker auf pflanzliche Lieferanten der entsprechenden Nährstoffe setzen.

Und durch eine Neuauslegung erhoffen Sie sich, dass insgesamt umweltfreundlicher und weniger Tierisches konsumiert wird?

Ja, schlussendlich ist die Lebensmittelpyramide ein politisches Instrument, das unseren Konsum beeinflusst. Natürlich ohne Garantie, damit alle Menschen zu erreichen. Und in der heutigen Version wird in Hinsicht auf Proteine stark auf tierische Produkte hingewiesen. Grade beim Protein gibt es aber auch andere Möglichkeiten, den Bedarf mit Erbseneiweiss & Co. zu decken.

Warum wurde die Zusammenarbeit für die Überarbeitung beendet?

Ein Projekt für die Überarbeitung der Lebensmittelpyramide wurde 2020 vom BLV ausgeschrieben. Man untersucht dort wissenschaftliche Grundlagen für eine gesunde und nachhaltige Ernährung. Uns wurde zunächst die Projektleitung im Bereich der Nachhaltigkeit übertragen. Allerdings gab es unter anderem unterschiedliche Auffassungen wie der Umweltbereich berücksichtigt werden kann und die Zusammenarbeit wurde aufgekündigt. Wir haben dann einen Bericht und Auswertungen zu diesem Thema mit eigenen Mitteln erarbeitet und darüber hinaus bereits auch Empfehlungen zur Anpassung der Ernährungspyramide aus Umweltsicht erstellt.

Anmerkung: Die von ESU-Services vorgeschlagenen Anpassungen der Schweizer Lebensmittelpyramide findest du hier.

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