Bundesrat beschliesst Atom-Ausstieg der Schweiz
Im Rahmen der neuen Energie-Strategie hat der Bundesrat beschlossen, dass keine weiteren Atomkraftwerke mehr gebaut werden. Die Schweiz soll schrittweise komplett aus der Kernenergie aussteigen.
Die bereits bestehenden Kernkraftwerke werden nach Ende ihrer Betriebsdauer still gelegt und nicht durch neu AKW ersetzt werden. Das hat der Bundesrat in seiner Klausursitzung vom 25. Mai beschlossen.
Damit die Energieversorgung der Schweiz nach dem Auslaufen der Atomkraftwerke weiterhin gesichert werden kann, soll in einem ersten Schritt die Energieeffizienz erhöht werden durch massive Einsparungen im Stromverbrauch. Ein weiterer Schritt wird der Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energiequellen sein, besonders bei den Wasserkraftwerken. Wenn dies zu einer deckenden Versorgung nicht ausreicht, soll ebenfalls auf fossile Brennstoffe zurück gegriffen werden. Denkbar wären dafür Gaskombikraftwerke und Wärmekopplungsanlagen. Eine zusätzliche Möglichkeit zur Sicherung der Energieversorgung sind Strom-Importe aus dem Ausland.
Ausstieg aus der Kernenergie muss schrittweise stattfinden
Erst nach dem Auslauf der bestehenden Atomkraftwerke wird die Strom-Produktion auf andere Energiequellen verlagert. «Der Bundesrat geht bei den bestehenden Kernkraftwerken von einer sicherheitstechnischen Betriebsdauer von voraussichtlich 50 Jahren aus. Damit müssten das Kernkraftwerk Beznau I 2019, Beznau II und Mühleberg 2022, Gösgen 2029 und Leibstadt im Jahr 2034 vom Netz genommen werden» heisst es in der Pressemeldung des Bundesrates.
Ein vorzeitiger Ausstieg aus der Atomenergie wurde zwar bei den Überlegungen in Erwägung gezogen. Der Bundesrat kam jedoch zu dem Schluss, dass eine frühzeitige Stilllegung nicht notwendig ist: «Die Überprüfungen des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (ENSI) haben ergeben, dass der sichere Betrieb der Schweizer Kernkraftwerke zurzeit gewährleistet ist. Das ENSI trifft die erforderlichen Massnahmen, falls sich daran etwas ändern sollte. Sicherheit hat oberste Priorität.»
Durch die Planung des schrittweisen Ausstiegs sollen die Sicherheit der Stromversorgung ebenso wie eine langfristig möglichst klimafreundliche Energiegewinnung ermöglicht werden. Das beschlossene Programm für die zukünftige Stromversorgung soll zudem wettbewerbsfähige Preise für Energie gewährleisten.
Der Bundesrat setzt in seinem Energie-Programm auf den Ausbau von erneuerbaren Energien. Foto: lisafx / iStock / Thinkstock
Der schrittweise Ausstieg aus der Atomenergie soll der Energiepolitik in der Schweiz die nötige Zeit geben, um eine generelle Umstrukturierung des Energiesystems zu ermöglichen. Die Energieversorgung der Schweiz wird derzeit zu 56 Prozent durch Wasserkraft, 39 Prozent Kernkraft und 5 Prozent aus anderen Anlagen gesichert. Um den relativ hohen Anteil an Atomkraft aufzufangen, müssen unter anderem Einsparungen stattfinden, um eine grössere Energieeffizienz zu ermöglichen und dadurch den Stromverbrauch zu reduzieren. Des Weiteren müssen alternative Energiequellen ausgebaut werden. Bis 2050 soll somit ein kompletter Ausstieg aus der Atomenergie gewährleistet werden. Der Bundesrat hat die dafür nötigen Schritte in der folgenden Energiestrategie zusammengefasst.
Energiestrategie 2050 des Bundesrates
Um die durch den Verzicht auf den Ersatz von Kernkraftwerken wegfallenden Teile des Stromangebots zu decken, muss die Energiestrategie der Schweiz neu ausgerichtet werden. Der Bundesrat orientiert sich dabei an folgenden Prioritäten:
1. Stromverbrauch senken:
Die neuen Energieperspektiven zeigen, dass die Stromnachfrage bis 2050 ohne verstärkte Massnahmen auf rund 90 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr ansteigen könnte (2010: rund 60 Mrd. kWh). Hauptgründe dafür sind das Bevölkerungswachstum, die zunehmende Mehrfachausstattung in den Haushalten (z.B. Zweitfernseher), neue Geräte und Anwendungen, mehr Wohnfläche pro Person, aber auch die zunehmende Elektrifizierung des Verkehrs. Daher will der Bundesrat den sparsamen Umgang mit Energie im Allgemeinen und Strom im Speziellen fördern. Die verstärkten Effizienzmassnahmen umfassen Mindestanforderungen für Geräte (Best-Practice, Energieetikette) und andere Vorschriften, Bonus-Malus-Mechanismen (Effizienzbonus), Massnahmen zur Sensibilisierung und Information der Bevölkerung (Stärkung von EnergieSchweiz) oder Massnahmen im Wärmebereich.
2. Stromangebot verbreitern:
Ausgebaut werden sollen vor allem die Wasserkraft und die neuen erneuerbaren Energien. Der heutige Anteil am Strom-Mix muss massiv ausgebaut werden. Dazu dient in erster Linie die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV). Zur Deckung der Nachfrage braucht es aber auch einen Ausbau der fossilen Stromproduktion mit Wärmekraftkopplung (primär) sowie Gaskombikraftwerken (sekundär). Der Bundesrat hält dabei an seinen klimapolitischen Zielen fest. Der zunehmende Anteil der unregelmässigen Stromerzeugung (Wind, Sonne) erfordert einen Umbau des Kraftwerkparks mit entsprechenden Speicher- und Reservekapazitäten. Ausserdem müssen Interessenskonflikte zwischen Klima-, Gewässer- und Landschaftsschutz sowie Raumplanung konstruktiv gelöst werden.
3. Stromimporte beibehalten:
Sie sind für eine sichere Stromversorgung und den temporären Ausgleich weiterhin notwendig. Der Bundesrat ist jedoch der Ansicht, dass weiterhin eine möglichst auslandunabhängige Stromproduktion anzustreben ist.
4. Stromnetze ausbauen:
Für die künftigen inländischen Produktionsinfrastrukturen und den Stromimport, ist ein rascher Ausbau der Stromübertragungsnetze und ein Umbau der Verteilnetze zu «Smart Grids» zwingend nötig. Diese «intelligenten Netze» ermöglichen die direkte Interaktion zwischen Verbrauchern, Netz und Stromproduktion und bergen ein grosses Potenzial zur Optimierung des Stromsystems, zu Einsparungen im Verbrauch und damit zur Kostensenkung. Das schweizerische Netz soll optimal an das europäische Netz und das künftige europäische «Supergrid» angebunden sein.
5. Energieforschung verstärken:
Zur Unterstützung des Umbaus des Energiesystems braucht es eine Stärkung der Energieforschung. Dazu sollen das Portfolio der Energieforschung im ETH-Bereich und in den Fachhochschulen überprüft und die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, Wirtschaft und Technologiekompetenzzentren gefördert werden. Ein Aktionsplan «Koordinierte Energieforschung Schweiz» mit entsprechenden Roadmaps soll für Effizienztechnologien, Netze, Energiespeicherung und Elektrizitätsbereitstellung erarbeitet und die nötigen Bundesmittel für Pilot- und Demonstrationsanlagen bereitgestellt werden. Diese Anstrengungen sind mit den Massnahmen aus dem «Masterplan Cleantech» zu koordinieren.
6. Bund, Kantone, Städte und Gemeinden übernehmen Vorbildfunktion:
Bund, Kantone, Städte und Gemeinden gehen mit gutem Beispiel voran. Sie sollen ihren Eigenbedarf an Strom und Wärme weitgehend durch erneuerbare Energieträger decken und den Grundsatz «Best-Practice» in allen Bereichen beachten. Auch die Wirtschaft ist aufgefordert, Massnahmen zur Senkung des betrieblichen Energieverbrauchs zu treffen und mit innovativen, energiesparsamen Produkten den Wirtschaftsstandort Schweiz zu stärken. Die Stromwirtschaft soll die Chance packen, den Umbau des nationalen Energiesystems aktiv mitzugestalten und die nötigen Investitionen zu tätigen.
7. Leuchtturmprojekte weisen den Weg:
Von verschiedenen Industrien und Gruppen entwickelte Pilot- und Demonstrationsprojekte sollen wertvolle Erfahrungen für die Energiezukunft der Schweiz ermöglichen. Entscheidend sind die Bereiche Smart Buildings, Smart Cities, Smart Grids oder Wärmeverbundnetze, die zu einer Optimierung des Energiesystems und damit zur Senkung von Energieverbrauch, Emissionen und Kosten beitragen.
8. Internationale Zusammenarbeit fördern:
Die internationale Zusammenarbeit im Energiebereich soll weiter intensiviert werden. Mit der Europäischen Union ist noch in diesem Jahr der Abschluss der Strom-Verhandlungen anzustreben. Zudem sollen die Kontakte mit den Nachbarstaaten vertieft werden. Die Schweiz wird sich ausserdem aktiv an der internationalen Debatte über die künftige Rolle und Ausrichtung der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) beteiligen und an den entsprechenden politischen und technischen Konferenzen teilnehmen.
Nach dem Beschluss des Bundesrates für die Energiestrategie 2050 wird das Programm als Nächstes dem Parlament zur Diskussion vorgelegt. Nach den Beschlüssen des Parlaments wird die Strategie anschliessend vom UVEK (Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation) sowie von den jeweils zuständigen Departementen weiter entwickelt und angepasst.
Quelle: Der Bundesrat (2011)