Die Umwelt steckt in der (Corona-)Krise

Im Amazonas wird derzeit gerodet, was das Zeug hält. Die Corona-Krise könnte mitverantwortlich dafür sein, befürchten Umweltwissenschaftler. Es ist nur eines von vielen Beispielen, wie der Klimaschutz aufgrund der Corona-Krise weltweit torpediert wird – auch in der Schweiz.

Amazonas Regenwald in Brasilien wird gerodet
Immer wieder wird im Amazonas grossflächig illegal gerodet. Foto: iStock / Getty Images Plus

Es ist kein Jahr her, als die illegalen Brandrodungen im Amazonas für einen globalen Aufschrei sorgten – Keine Zeitung, kein Fernsehsender, die nicht darüber berichteten. Auch aktuell wird im Amazonasgebiet Brasiliens wieder verstärkt illegal gerodet. Nur dieses Mal geschieht die Umweltzerstörung im Schatten der Corona-Krise und findet in der medialen Öffentlichkeit höchstens am Rande Platz.

Alleine im März wurden in Brasilien 30 Prozent mehr Regenwald zerstört als im gleichen Monat ein Jahr zuvor, wie das National Institute for Space Research (INPE) berichtet. In den ersten drei Monaten wurden fast 800 Quadratkilometer Wald vernichtet, was einem Anstieg von über 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht, schreibt die Nachrichtenagentur Reuters.

Dazu beitragen, dass mehr gerodet wird, könnte die Corona-Krise. Einerseits schickt die brasilianische Umweltbehörde aus Vorsicht vor Ansteckungen weniger Kontrollpersonal in die gefährdeten Gebiete. – Ohne die Kontrollen sind diese Gebiete weniger geschützt.

Andererseits schürt der Corona-Lockdown die Angst vor Wirtschaftseinbrüchen und Armut im Land. Dies könne Menschen dazu antreiben, durch Abholzung illegal Geld zu verdienen. «Es besteht das Risiko, dass das Coronavirus und Covid-19 die Bedingungen für mehr Abholzung schaffen», sagt Carlos Souza Jr., Wissenschaftler bei der NGO «Imazon» gegenüber Reuters. Es sei jedoch noch zu früh, um einen Zusammenhang zu bestätigen.

Sollten sich die Befürchtungen des Umweltschützers bestätigen, könnte dies verheerende Folgen haben, denn die Politik des amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro begünstigt die Abholzung ohnehin schon. Umweltschützer kritisieren, dass der neoliberale, rechtskonservative Bolsonaro Holzfäller, Viehzüchter und Spekulanten ermutigt, sich am Amazonas zu bedienen.

Die Gunst der Stunde nutzen

Brasilien steht bei weitem nicht alleine da, wenn es darum geht, den Klimaschutz aufgrund der Corona-Krise zu torpedieren. Was aktuell weltweit geschieht, bezeichnet etwa der Bobachter als Lehrstück in Lobbyismus.

Anfang April starteten in den USA wie aus dem Nichts die Arbeiten an der höchstumstrittenen Mega-Pipeline Keystone XL. Umweltaktivisten und die indigene Bevölkerung kämpfen seit Jahren gegen die Pipeline, die Öl aus Kanada in die USA transportieren soll. Mitten in der Corona-Krise wurde nun die Finanzierung gesichert, es wurden neue Gesetze beschlossen und Demonstrationen gegen «kritische Infrastrukturen» verboten, wie unter anderen The Guardian berichtet. «Die Ölindustrie sah die Gelegenheit und reagierte mit atemberaubender Geschwindigkeit, um diesen Moment zu nutzen», bringt es die Zeitung auf den Punkt.

Dem nicht genug setzt die US-Umweltbehörde derzeit sogar Umweltgesetze teils ausser Kraft. Umweltverbände und ehemalige Vertreter der Obama-Regierung bezeichneten die Politik als eine beispiellose Lockerung der Vorschriften für petrochemische Anlagen und andere grosse Umweltverschmutzer, schreibt etwa die New York Times. Damit nicht genug: Trump lockerte die Abgasgrenzwerte für Autos so massiv, dass selbst die Autohersteller nicht einverstanden sind, wie die Zeitung vor Kurzem berichtet hat.

Während man es mit dem Umweltschutz in den USA fahrlässig locker nimmt, buhlen Airlines weltweit wegen der aktuellen Krise um Staatshilfe, ansonsten droht ihnen das Grownding. Umweltschutzorganisationen fordern jedoch, dass Staatshilfe von Klimamassnahmen abhängen soll. Derweilen will die Internationale Luftverkehrs-Vereinigung IATA das globale CO2-Kompensations-Projekt «Corsia» abschwächen.

Bei all diesem Zurückkrebsen in Sachen Klimaschutz werden stets die Corona-Pandemie und die damit verbundenen wirtschaftlichen Verluste als Argumente ins Feld geführt.

Härtetest für den Klimaschutz in der Schweiz

Mit der Corona-Krise argumentierte auch Bauernverbands-Präsident Markus Ritter – und zwar schon Ende März. Als die Hamsterkäufe gerade auf Hochtouren liefen und die Regale entsprechend leer daherkamen, weibelte Ritter gegen die Agrarreform des Bundes, die eine Senkung des Selbstversorgungsgrads von 60 auf 52 Prozent vorsieht. Dies aufgrund strengerer ökologischer Anforderungen an die Landwirtschaft. Mit der Reform müssen Bauern mehr Flächen für die Artenvielfalt bereitstellen und dürften weniger Pflanzenschutzmittel einsetzen. Die Ernteerträge würden zurückgehen. Dass sich der Bundesrat in der Agrarpolitik 22+ für eine Senkung des Selbstversorgungsgrads ausspreche, sei unhaltbar, sagt er gegenüber der NZZ. Gerade in der Corona-Krise sende die Regierung damit ein desaströses Signal.

Der Bauernverband fordert, dass die Agrarreform gestoppt und an den Bundesrat zurückgewiesen wird. Eine Überarbeitung würde gut und gerne zwei Jahre dauern. Für den Bauernverband hätte dies einen gewichtigen Vorteil: Die parlamentarische Debatte zur Reform würde nicht zeitgleich mit der hängigen Pestizid-Initiative stattfinden. Dies verringere die Wahrscheinlichkeit einer grünen Reform, schreibt die NZZ weiter.

Zwar bringt Ritter ein weiteres wichtiges Argument gegen die Reform vor, nämlich dass für Importe keinerlei Auflagen betreffend Umweltschutz und Tierwohl gemacht würden, doch der Zeitpunkt seiner Forderung könnte kaum besser sein. Ob der Bauernverband die Parlamentarier in Bern überzeugen wird, ist fraglich. Klare Worte findet etwa CVP-Ständerat Stefan Engler: Es sei falsch, die Weiterentwicklung der Agrarpolitik zu boykottieren. Wenn der Bauernverband Widersprüche feststelle, brauche es eine politische Diskussion in den Räten, um diese zu klären.

Auch die Auto-Importeure fordern, der Bund solle bei den CO2-Grenzwerten für Neuwagen nachsichtig sein. In der Schweiz werden die gleichen Karten gespielt wie in der EU. Wegen der Corona-Krise bricht der Absatz der Autobranche weg. Deshalb fordern die Unternehmen in einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Entlastung. Die Grenzwerte für den CO2-Ausstoss bei Neuwagen, zu denen sich die EU endlich durchringen konnte, sollen wieder gelockert werden. Konkret: Die Autohersteller wollen wegen der Corona-Krise die für 2021 festgesetzte CO2-Regulierung verschieben und die allfälligen CO2-Strafen von mehreren Milliarden Euro aussetzen lassen. In der Schweiz ist es der Branchenverband der Automobil-Importeure, der Druck macht. «Sollte die EU hier Anpassungen vornehmen, wird sich auto-schweiz für die Umsetzung entsprechender Massnahmen auch hierzulande stark machen», schreibt der Verband auf seiner Website.

(gal)

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