Stefan Goerre: «Die Lage in hochalpinen Regionen spitzt sich wegen der Hitze zu»

Bergsportlerinnen und Bergsportler haben es dieses Jahr nicht einfach: Fels- und Gletscherstürze, gesperrte Routen und Berghütten, die wegen Wassermangel vielleicht schliessen müssen. Laut dem Zentralpräsidenten des Schweizer Alpen-Club (SAC), Stefan Goerre, wird sich die Problematik in den nächsten Jahren zuspitzen. Im Interview zeigt er auf, wie stark der Klimawandel den Bergsport verändert.

SAC-Hütte beim Morteratschgletscher.
SAC-Hütte beim Morteratschgletscher © GanzTwins / iStock / Getty Images Plus

Derzeit hagelt es schlechte News für den Schweizer Bergsport: Wegen der Hitze wird vor Touren gewarnt, denn die Gefahr von Felsstürzen steigt, in den Hütten des Schweizer Alpen-Clubs wird das Wasser knapp und manchen Hütten droht deshalb gar eine Schliessung. Stefan Goerre, Zentralpräsident des SAC, erklärt, was das für Berggänger bedeutet.

Herr Goerre, der Sommer sieht düster aus für den Schweizer Bergsport: Müssen sich Berggänger langsam von ihrem Hobby verabschieden?

Bergsteigerinnen und Bergsteiger sind es sich gewohnt, flexibel zu sein und sich an unterschiedliche Bedingungen anzupassen. Die Mischung aus einem schneearmen Winter, dem sehr warmen Frühjahr und der vielen Hitzetage diesen Sommer spitzen die aktuelle Lage in den hochalpinen Regionen aber tatsächlich zu. Mit den klimatischen Veränderungen müssen sich Bergsteiger vermehrt darauf einstellen, dass es unpassierbare Routen gibt. Oder Touren, die normalerweise im Juli auf dem Programm stehen, müssen künftig im Frühsommer oder Herbst, gemacht werden. Die aktuellen Entwicklungen bedeuten aber nicht das Ende des Bergsports.

Im Gespräch: Stefan Goerre

Stefan Goerre
Stefan Goerre © zVg

Stefan Goerre (62) ist seit 2021 Zentralpräsident des Schweizer Alpen-Clubs. Der gebürtige Bünder ist seit seinem 14. Lebensjahr Mitglied des SAC und hat alle 48 Viertausender der Schweiz bestiegen. Neben seiner Tätigkeit beim SAC arbeitet Stefan Goerre als Kardiologe.

Soll man aufgrund der Hitze zurzeit tatsächlich auf Bergtouren verzichten? Welche Routen sind sicher? Welche sollte man besser meiden?

Es gibt aktuell noch immer eine Vielzahl sicherer Wanderungen, Hoch- sowie Klettertouren. Einige Bergsportschulen bieten jedoch bestimmte Touren vorübergehend nicht mehr an – beispielsweise auf das Matterhorn oder auf die Jungfrau.

Das A und O jeder Bergtour ist und bleibt aber eine gute Tourenplanung. Verhältnisse für die beabsichtigte Tour müssen vorgängig geprüft werden. Informationen dazu liefern zum Beispiel das SAC-Tourenportal oder die Plattformen gipfelbuch.ch oder camptocamp.org. Auch ein Anruf bei der Hütte oder im lokalen Bergführerbüro kann bei der Vorbereitung helfen.

In einigen Hütten sind die Wasserreserven knapp. Müssen nun Gästekontingente beschränkt werden oder gibt es andere innovative Lösungsansätze?

Bis die nächste, längere Regenperiode einsetzt, bleibt kurzfristig nichts anderes übrig, als sparsam mit dem Wasser auf den Hütten umzugehen. Das Spaghetti-Wasser kann beispielsweise auch für den Abwasch verwendet werden, Waschräume werden vorübergehend ganz geschlossen, zum Zähneputzen muss ein halbes Glas Wasser reichen. Diese Sparmassnahmen bedingen natürlich auch Verständnis aufseiten der Gäste.

Mittel- und längerfristig setzen wir bei allen Hüttenumbauten auf Trockentoiletten. Neben dem Wasser, das für das Kochen und Abwaschen benötigt wird, sind WC-Spülungen für den grössten Wasserverbrauch verantwortlich. Zudem versuchen wir, die Wasserreservoir-Kapazitäten zu erhöhen sowie zusätzliche Quellen zu suchen und Zuleitungen anders zu legen.

Wie sehen Sie die Zukunft des SAC? Welche Herausforderungen kommen mit dem Klimawandel noch auf den Verband zu? Ist der SAC gewappnet für diese Tour?

Eine grosse Herausforderung liegt sicher im Bereich der Infrastruktur. Viele der 153 SAC-Hütten befinden sich in einer Höhe, wo der Permafrost immer mehr taut. Einige Hüttenstandorte oder deren Umgebung sind in der Folge der Klimaerwärmung instabil geworden.

Ein Beispiel ist die Mutthornhütte, die wegen drohendem Felssturz präventiv geschlossen werden musste. Ob die Hütte an einem neuen, sicheren Standort wieder aufgebaut werden kann, wird aktuell abgeklärt. Die Trifthütte und das Mittelaletsch-Biwak wurden durch Lawinen zerstört. Fachleute gehen davon aus, dass diese Lawinen indirekt ebenfalls mit der Klimaerwärmung in Zusammenhang stehen.

Gerade weil wir so stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind und gleichzeitig mit unseren Aktivitäten zum Klimawandel beitragen, setzt der SAC ein Zeichen: Ende November 2021 hat der Zentralvorstand die SAC-Klimastrategie verabschiedet.Diese verfolgt das Ziel, den CO2-Ausstoss als Gesamtverband ab 2022 bis 2040 auf Netto Null zu senken.

Die Berge und Bergsport gehören zur Schweiz. Muss der Bund jetzt aktiv werden, um die Sicherheit und Zukunft des Bergsport zu sichern?

In der Schweiz ist es nicht üblich, dass Berge durch die Behörden gesperrt werden. Anders als in Frankreich oder Italien, wo immer wieder Zustiege und Routen auf Anordnung gesperrt werden. Die Behörden oder lokale Bergführerbüros sprechen Empfehlungen aus. Als SAC ist es uns darum wichtig, dass Bergsteigerinnen und Bergsteiger über das entsprechende Knowhow verfügen. Sie müssen fähig sein, Risiken abzuwägen, Situationen richtig einzuschätzen und so eigenverantwortlich Entscheidungen treffen zu können.

Der Schweizer Alpen-Club (SAC)

Der SAC will an der Bergwelt interessierte Menschen verbinden: Dies unter anderem mit Kursen für die breite Bevölkerung, Aufklärung und Ausbildung, aber auch geführten Touren. Ein wichtiges Standbein des Verbands sind die 153 SAC-Hütten, für deren Betrieb und Unterhalt er verantwortlich ist. Auf nationaler Ebene setzt sich der SAC für die nachhaltige Entwicklung und den Erhalt der Bergwelt ein.

Mehr zum Angebot und zu den Zielen des SAC: www.sac-cas.ch

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