«Wir können endlich etwas bewegen»

Die KlimaSeniorinnen fordern mehr Schutz gegen die Klimakrise und verklagen deshalb ihr eigenes Land. Rosmarie Wydler-Wälti ist das Gesicht der Bewegung. Im Interview erklärt sie, weshalb Klimaschutz ein Menschenrecht ist und wieso uns alte Frauen retten können.

Rosmarie Wydler-Wälti von den KlimaSeniorinnen auf einem Boot im Rhein, vor der Kaserne in Basel.
Rosmarie Wydler-Wälti kämpft gemeinsam mit den KlimaSeniorinnen für eine grünere Zukunft. ©zVg

Der Verein KlimaSeniorinnen wurde 2016 mit der Unterstützung von Greenpeace gegründet. Damals wurde Rosmarie Wydler-Wälti mit vier anderen als Einzelklägerinnen vom Bundesverwaltungsgericht sowie dem Bundesgericht abgewiesen. Doch sie zogen die Klage weiter und wurde vergangenen Frühling vom Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg angehört. Es ist zusammen mit zwei weiteren Klagen aus Portugal und Frankreich, die erste Klimaklage, die der Grossen Kammer vorliegt. Sie könnte in Europa, wenn nicht sogar auf der ganzen Welt, zu einem Präzedenzfall werden.

Zur Person:
Rosmarie Wydler-Wälti ist seit der Gründung der KlimaSeniorinnen deren Co-Präsidentin. Sie ist Mutter und Grossmutter, ehemalige Kindergärtnerin und heute noch aktiv als Erziehungs- und Paarberaterin in Basel. Stellvertretend für die KlimaSeniorinnen wurde die 73-Jährige für den Prix Courage 2023 vom Beobachter nominiert.

Frau Wydler-Wälti, mit Ihrer Klimaklage am EGMR schreiben Sie gerade Geschichte. Wie fühlt es sich an, den Staat zu verklagen?

Das ist ein wahnsinniges Gefühl! Als wir nach Strassburg an den Gerichtshof gingen, stand die Presse schon am Bahnhof bereit. Einige Passant:innen kamen auf uns zu und hielten Ausschau nach einem Weltstar – doch die Menschenmenge war wegen uns da. Da haben wir realisiert, dass wir etwas bewegen können und auch nach aussen wichtig geworden sind. Durch die vermehrte Pressepräsenz werden wir endlich ernst genommen und nicht als alte Frauen abgetan.

Weshalb haben Sie neben den üblichen, politischen Aktionsformen auch den juristischen Weg gewählt, um gegen die Klimakrise vorzugehen?

Der Klimaschutz ist global existenziell, weshalb man alle Ebenen nutzen muss, die einem zur Verfügung stehen. Die zunehmenden Klimakatastrophen sind eine faktenbasierte Bedrohung auf unser Leben; und «Recht auf Leben» ist ein Menschenrecht. Dieses ist nicht mehr gewährleistet, wenn sich die Regierung nicht sofort für den Klimaschutz einsetzt.

Die Behauptung, wegen der Klimaerwärmung an Leib und Leben bedroht zu sein, wird oftmals belächelt (Beispiel Klimaklage der portugiesischen Jugendlichen). Wie ernst ist es Ihnen?

Es leiden und sterben weltweit so viele Menschen wegen Klimakatastrophen, doch hier ist es uns noch gar nicht bewusst – oder wird verdrängt. Die meisten geniessen noch das aufkommende mediterrane Klima. Doch auch hier ist es im Sommer zu heiss und gerade wir alten Frauen leiden darunter. Am allermeisten trifft der Klimawandel aber den globalen Süden, also jene, die – notabene – am wenigsten verschuldet haben.

Wieso sind gerade ältere Frauen vom Klimawandel betroffen?

Gemäss dem BAG sind bei Hitzewellen besonders ältere Menschen risikogefährdet. Im Hitzesommer 2003 starben in der Schweiz 1402 Menschen wegen der Hitze. Die Mortalitätsrate der Frauen, besonders ab 75 Jahren, ist besonders hoch.

Mit bereits über 2300 Mitgliederinnen setzen sich die KlimaSeniorinnen für ein besseres Leben ein. Die pensionierten Frauen mit dem Wohnsitz in der Schweiz halten Reden, geben Workshops und nehmen an Demonstrationen teil, um sich für den Klimaschutz stark zu machen.

Was denken Sie, weshalb wir mit dem Klimaschutz zu langsam vorankommen?

Uns sind die Auswirkungen unseres Konsums noch nicht bewusst. Der Wirtschaftswachstum ist das A und O, und darf nicht angekratzt werden. Wenn ich das Wort schon nur höre oder lese, werde ich wütend. Wir haben ausgerechnet hier im superentwickelten und einem der reichsten Länder der Welt den Anspruch, dass das BIP immer rauf gehen muss. Das passiert aber fast immer auf dem Buckel anderer; der Natur und der ärmeren Völker. Das kann so nicht weitergehen. Wir haben keinen Anspruch darauf.

Sie haben sich schon vor Jahren bei Aktionen diverser NGOs für den Klimaschutz stark gemacht. Wieso liegt Ihnen dies so am Herzen?

Meine Eltern sind aus der Nachkriegsgeneration, diese war sehr sorgsam mit den Materialien. Nicht unbedingt aus Umweltgründen, sondern aus Angst vor Verarmung – damals kostete alles mehr und konnte nicht einfach neu gekauft werden. Dieses Verhalten habe ich tief verankert. Vor ein paar Jahren wurde das noch als pingelig angeschaut, dabei hat es mit Achtsamkeit gegenüber dem Essen und den Gegenständen zu tun.

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