«Ernährungssicherheit kann nur mit KI garantiert werden»

Urs Niggli ist eine wahre Koryphäe auf dem Gebiet der biologischen Agrarwirtschaft. Wir haben ihn gefragt, ob und wie die Landwirtschaft der Zukunft 10 Milliarden Menschen auf nachhaltige Art und Weise ernähren kann.

Prof. Dr. Dr. Urs Niggli zwischen Apfelbäumen.
Urs Niggli setzt sich für eine für eine nachhaltigere Landwirtschaft ein ein. © zVg

Der Krieg in der Ukraine hat uns mal wieder vor Augen geführt, wie wichtig es ist, dass ein Land sich so gut wie möglich selbst versorgen kann. Auch am Swiss Green Economy Symposium 2023, an dem Urs Niggli mehrere Male am Rednerpult stand, war die Ernährung ein wichtiges Thema. Der Bio-Pionier erzählt im Interview wie Technologie und Agrarökologie unsere Ernährungssicherheit in Zukunft gewährleisten könnten.

Zur Person: Prof. Dr. Dr. Urs Niggli ist Vordenker des biologischen Landbaus und hat mehrere wegweisende Publikationen zu Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität, nachhaltiger Landwirtschaft und Ernährung veröffentlicht. Seit über 40 Jahren forscht der Aargauer zu nachhaltiger Landwirtschaft. Urs Niggli ist Präsident von agroecology.science, dem Institut für Agrarökologie, dozierte an diversen Universitäten auf der ganzen Welt und war 30 Jahre lang Leiter des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL). 

Herr Niggli, die Weltbevölkerung wird bis 2050 voraussichtlich 10 Milliarden erreichen. Wie können wir sicherstellen, dass es genug Lebensmittel hat, die gerecht verteilt werden, ohne die natürlichen Ressourcen zu überbeanspruchen?

Das ist eine grosse Herausforderung. Umweltveränderungen wie lange Trockenperioden, aber auch Kriege werden immer häufiger zu Raubbau an den natürlichen Ressourcen und zu lokaler Unterernährung führen. Die Landwirtschaft kann die Produktion mit traditionellen und modernen Methoden auf nachhaltige Weise erhöhen. Wir sollten in Zukunft mutiger auf traditionelles Wissen der bäuerlichen Gesellschaft und auf deren unternehmerischen Fähigkeiten aufbauen. Gleichzeitig sollten wir auch Hightech-Wissen gegenüber offener sein. Beide können sich nämlich wirkungsvoll ergänzen.

Landwirt:innen können durch künstliche Intelligenz bessere Entscheide fällen.

Wie können moderne Agrotechnologien wie Drohnen oder KI denn die nachhaltige Landwirtschaft konkret unterstützen?

Die Wissenschaft treibt momentan die gesellschaftliche Innovation und damit die Veränderung unseres Lebens an – das ist manchmal schon fast atemberaubend! Wie Ärzt:innen werden auch Landwirt:innen in Zukunft durch künstliche Intelligenz bessere Entscheide fällen. Dank schneller Sequenzierung erkennen wir, wie die Mikroben im Boden die Abwehrkräfte auf Pflanzen verändern und welche Auswirkungen das auf unsere Gesundheit hat. Aus all diesen Informationen lernen wir vieles und können auf umweltfreundliche Art und Weise den Pflanzenschutz, die Düngung und die Veterinärmassnahmen lösen. Weil die Preise all dieser Technologien rasch fallen, werden auch mittlere und kleinere Betriebe, wie sie die Schweiz hat, davon profitieren können.

Wie kann Wissenschaft in der Praxis der Agrarwirtschaft integriert werden?

Ab Mitte des 20. Jahrhunderts litt der Umweltschutz und das Tierwohl unter dem technischen Fortschritt, was der Agrarwissenschaften – wohl zu Recht – einen schlechten Ruf einbrachte. Die Forschung hat sich zum Glück geändert, und Bauernhöfe dienen nun als «lebende Labore» – oder attraktiver ausgedrückt «Living Labs» und «Co-Learning». Die Agrarforschung in der EU und in der Schweiz wird zunehmend von der Idee des gemeinsamen Lernens von Forschenden und Praktizierenden geprägt. Das finde ich sehr inspirierend.

Diese riesige Verantwortung kann nicht den Konsument:innen zugeschoben werden.

Der Bundesrat will, dass die Bevölkerung bis 2050 den eigenen ökologischen Fussabdruck um zwei Drittel reduzieren. Was kann ich als Privatperson tun, um dieses Ziel zu erreichen?

Natürlich ist die Ernährung ein entscheidender Faktor. Essen, das nicht verschwendet wird, belastet die Umwelt nicht. Und pflanzliche Lebensmittel haben einen viel tieferen Klimafussabdruck als tierische. Diese riesige Verantwortung kann aber nicht den Konsument:innen zugeschoben werden. Sie liegt bei der Politik und der Wirtschaft.

Welche politischen Massnahmen oder Anreize wären Ihrer Meinung nach effektiv, um eine nachhaltige Ernährung zu fördern?

Wir sollten Elemente der schon lange diskutierten Einbeziehung externer Umwelt- und Sozialkosten einführen. Das können einfache Massnahmen wie beispielsweise eine Abgabe auf Pestizide, Stickstoff- und Phosphordünger sein. Denn schon kleinere Abgaben wirken lenkend. Auch bei Konsument:innen können sanfte Massnahmen wie Abgaben auf Fett, Fleisch und Zucker nützlich sein. Dies ist nicht nur gut für die Gesundheit und Umwelt, sondern verbessert auch die Wirtschaftlichkeit unverarbeiteten Lebensmitteln und frischem Gemüse und Obst. All diese Abgaben können für den Schutz von Klima und Biodiversität verwendet werden.

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