Karin Bertschi: «Recycling befreit und macht glücklich»

Karin Bertschi ist Geschäftsführerin vom Recycling-Paradies in Reinach (AG) und Gewinnerin des Nachhaltigkeits-Preises Prix Evenir. Im Interview mit nachhaltigleben.ch spricht sie über den Spass der Besucher beim Recyceln des Abfalls und darüber, warum Kinder unbedingt früh für Nachhaltigkeit sensibilisiert werden müssen.

Karin_Bertschi Recycling Paradies
Karin Bertschi, Geschäftsführerin Recycling-Paradies, Foto: privat

Der Prix Evenir zeichnet Projekte aus, die ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekte vereinen und sich damit für eine nachhaltigere Gesellschaft einsetzen. Der von der Erdöl-Vereinigung gestiftete und mit 50‘000 Franken dotierte Preis wurde in diesem Jahr an die junge Unternehmerin Karin Bertschi und ihr innovatives Projekt, das Recycling-Paradies, verliehen.

Das Recycling-Paradies ist eine private, im Familienbetrieb geführte öffentliche Sammelstelle in Reinach (Aargau). Karin Bertschi möchte mit ihrem Projekt mehr Schweizer dazu bringen, Altglas, PET, Karton, Batterien, Waschmaschinen, Tumbler und vieles mehr nachhaltig zu entsorgen. Dafür schafft das Recycling-Paradies mit einer modernen, sauberen und benutzerfreundlichen Anlage eine angenehme Umgebung. So fühlen sich die Kunden wie auch die Mitarbeiter wohl. Daneben bietet die Sammelstelle ein speziell für Kinder eingerichtetes Recycling-Paradies, um auf spielerische Art das Entsorgen von Recycling-Materialien näher kennen zu lernen. Schulklassen, Kindergärten und angemeldete Gruppen können zudem kostenlos die Anlage in einer zweistündigen Führung besichtigen und dabei mehr über Umweltschutz erfahren. Neben dem ökonomischen Aspekt erfüllt Karin Bertschi auch den sozialen Aspekt der Nachhaltigkeit, indem sie in ihrem Recycling-Paradies sozial schwache und geistig leicht behinderte Menschen beschäftigt.

Im Interview mit nachhaltigleben.ch spricht Karin Bertschi über ihre Eltern als ihr ökologisches Vorbild und darüber, wie sie bereits als kleines Kind im Familienbetrieb den Besuchern beim Recyceln von Glas oder Papier helfen durfte.

Wer ist Ihr ökologisches Vorbild? Und was zeichnet dieses Vorbild für Sie aus?

Meine grössten Vorbilder sind meine Eltern. Sie setzen sich seit vielen Jahren unermüdlich für Recycling und eine sauberere Umwelt in der Region ein. Sie haben sich stets bemüht, ihre Mitmenschen sowohl im geschäftlichen als auch im privaten Leben fürs Recycling zu begeistern. Sensibilisierung fängt beim Kleinsten an: Meine Eltern haben ihre vier Kinder schon seit klein auf in den Betrieb mitgenommen. Ich selber durfte den Besuchern bei der Entsorgung ihrer Materialien helfen und wuchs in dieses Geschehen hinein. Heute bin ich sehr stolz darauf.

Wie stark hat die in den letzten Jahren zunehmende Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit Ihr Leben verändert?

Sehr stark. Zwei Punkte möchte ich erwähnen. Als erstes habe ich gemerkt, wie wichtig und wertvoll es ist, Kinder für das Thema Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. Kinder lernen spielerisch und ohne grosse Anstrengungen – der Effekt für die Umwelt ist jedoch enorm. Zweitens stelle ich vermehrt die Freude und Wertschätzung unserer Besucher fest. Sie fühlen sich nach dem Entsorgen ihrer Abfälle sichtlich erleichtert und es ist ihnen wichtig, dass dies in «nachhaltigen Bahnen» geschieht.

Was motiviert Sie, sich für Nachhaltigkeit einzusetzen?

Was mich besonders motiviert ist die Tatsache, dass diese Arbeit extrem sinnvoll ist – denn dadurch können wir viel bewegen. Die bereits oben erwähnte Wertschätzung, die ich täglich zu spüren bekomme, motiviert mich. Mein Job zeichnet sich durch viele Anstrengungen und auch ehrenamtlichen Einsatz aus. Zum Beispiel führen wir alle Besichtigungen für Schulen und Gruppen kostenlos durch. Umso mehr beflügelt mich das positive Feedback aus vielen Ecken!

Ebenfalls positiv auf mich und auf mein ganzes Team wirken die immer steigenden Besucherzahlen (heute über 2000 Besucher pro Woche) und damit die immer imposanter werdende Menge an gesammelten Materialien, insbesondere Recyclinggüter. All das beweist, dass wir auf dem richtigen Weg sind und wir tatsächlich zur Erhöhung der Recyclingquote in unserer Region beitragen – was wiederum ein Schlüsselelement der Nachhaltigkeit ist.

Wie verhält sich Ihre Familie, wenn es um Nachhaltigkeit geht? Gibt es diesbezüglich Diskussionen am Familientisch?

Meine Familie unterstützt mich beim Umsetzen des Nachhaltigkeitsgedanken. Da wir ein Familienbetrieb sind, sind alle involviert und ziehen am selben Strick. Diskussionen gibt es sehr selten.

Für welche persönliche Öko-Sünde schämen Sie sich am meisten? Und warum begehen sie diese trotzdem?

Ich gebe zu, dass ich gerne länger als 3 Minuten dusche und mir auch mal etwas Luxus gönne, um mich wohlzufühlen.

Angenommen, eine nachhaltigere Gesellschaft wäre nur mit persönlichem Verzicht machbar. Auf was würden Sie verzichten?

Schon heute versuche ich wenn es geht das Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Auf das Auto ganz zu verzichten, wäre für mich die grösste Herausforderung, würde aber auch den grössten Effekt nach sich ziehen.

Was für ein nachhaltiges Produkt oder welche nachhaltige Dienstleistung würden Sie sich wünschen?

Ich fände es gut, wenn es günstiger und einfacher wäre, sich Solarzellen und Elektroautos anzuschaffen.

Was wäre Ihr dringendster Wunsch an die Politik zur Förderung einer nachhaltigeren Gesellschaft?

Der Unterricht über Abfall und Recycling in den Schulklassen sollte auf nationaler Ebene gefördert werden. Dieser ist nämlich immer noch mangelhaft. Ferner sollte die Politik ein flächendeckendes Sammelsystem schaffen, wo Entsorgen Spass macht und angenehm ist. Wir selber unterstützen die Gemeinden durch unsere Beratung oder direkt durch Outsourcing.

Was planen Sie persönlich in den nächsten 2 Jahren, um eine nachhaltige Entwicklung zu unterstützen?

In nächster Zukunft sind folgende Aktionen geplant: Anschaffung eines Erdgasstaplers, markante Erhöhung der Rücklaufquote von Gütern und effizientere Logistik sowie Komprimierung der Materialabholungen. Was wir soeben gemacht haben: Eine schöne Baumallee neben der westlichen Hallenfassade des Recycling-Paradieses. Ausserdem wollen wir uns durch unterschiedliche Massnahmen, seien es Führungen, Events oder Gestaltungswettbewerbe, noch intensiver an der Schulung von Kindern und Jugendlichen beteiligen und die Bevölkerung dazu animieren, beim Recycling mitzumachen.

Worin sehen Sie in den kommenden Jahren die grössten Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung?

Die grösste Herausforderung ist ganz klar die Bequemlichkeit unserer Gesellschaft. Wie Sie oben mit Ihrer Frage richtig erkannt haben: Nur durch persönlichen Verzicht eines jeden einzelnen kann eine signifikante Änderung eintreten. Aber wer möchte heutzutage schon auf etwas verzichten? Das geht mir auch nicht anders. Deshalb ist mit sauberer Abfalltrennung eine Vorkehrung getroffen, die jedem einleuchtet und nicht mit Verzicht verbunden ist (höchstens ein wenig Zeitverzicht). Also ein guter Anfang! Eine weitere Herausforderung ist die immer zunehmende Umlaufgeschwindigkeit der Güter. Die Lebenszyklen sind durch die schnellen Innovationszyklen der Technologie sehr kurz geworden, und relativ neue Produkte werden bereits entsorgt. Abfall nimmt zu. Da wird es in Zukunft für die Behörden immer schwieriger, effiziente Lösungen zu dessen Beseitigung zu präsentieren.

Nachhaltige Lösungen haben oft ästhetische Beeinträchtigungen zur Folge, wie zum Beispiel Solarzellen im historischen Stadtbild. Wo sollte man die Grenze ziehen?

Meines Erachtens geht Nachhaltigkeit vor. Fälle, wo das Streben nach Nachhaltigkeit in Konflikt mit Ästhetik gerät, dürften aber eher selten vorkommen. Und in solchen Fällen sollten gute Architekten herbeigezogen werden um einen Kompromiss zu finden. Übrigens, eine Sammelstelle kann auch sehr ansprechend aussehen (lacht).

 

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