Marc Krebs: «Viele westliche Länder haben ihr Plastikmüllproblem exportiert»

Wir leben in der Schweiz nicht am Meer, dennoch betrifft die Vermüllung der Ozeane auch uns. Deshalb hat das Basler Start-up Tide Ocean SA es sich zur Aufgabe gemacht, Plastik an den Küsten zu sammeln und zurück in den Kreislauf zu bringen. Was Meeresplastik mit der Schweiz zu tun hat und warum das Material so eine gute Klimabilanz hat, erzählt uns Co-Founder Marc Krebs im Interview.

Das Plastik sammelt #tide an Stränden, aber auch im Wasser
Das Plastik sammelt #tide an Stränden, aber auch im Wasser © zVg tide

Jedes Jahr gelangen laut dem WWF 4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen Plastikabfall im Meer. Das entspricht einer Lastwagenladung pro Minute. Erschreckende Zahlen, die wir im globalen Westen gerne verdrängen. Dabei liegt die Lösung des Problems auch in unseren Händen.

Anstatt sich darauf auszuruhen, dass die Schweiz ein Binnenland ist, haben Thomas Schori und Marc Krebs mit ihrem Start-up Tide Ocean eine Strategie entwickelt, um Meeresplastik von den Küsten wieder in den Kreislauf zu bringen. Wir haben Marc am Forum ö getroffen und wollten wissen, wie es dazu kam.

Rein geografisch ist Meeresplasik in der Schweiz keine naheliegende Ressource. Wo sammelt ihr denn das meiste Plastik und warum?

Unser Schwerpunkt ist Thailand. Wir sind aber auch in Indonesien und auf den Philippinen aktiv und haben Anfang Herbst ein erstes Warehouse in Mexico eröffnet. Von dort aus möchten wir den nord- und zentralamerikanischen Markt erschliessen. Unser Ziel ist es, auf jedem Kontinent die tide-Lösung anwenden zu können. Dass also das Material, das in einer Region gesammelt wird, auch dort weiterverarbeitet wird. Dadurch bleiben die Transportwege kurz.

Wir begannen in Asien, weil die Plastikverschmutzung dort am grössten ist. Schätzungen zufolge kommt 80 Prozent des Meeresplastiks unserer Welt aus Südostasien. Und da sind wir westlichen Länder mitverantwortlich, denn viele Länder haben ihr Plastikmüllproblem exportiert. Die haben ihren Müll an Länder wie die Philippinen verkauft und sind so das Problem losgeworden. Nur haben sie sich nicht darum gekümmert, ob es dort überhaupt eine Lösung dafür gibt. Tatsächlich landet das Plastik dort früher oder später einfach im Meer.

Dabei entzieht man sich hier ja immer gern der Verantwortung, überhaupt einen Einfluss auf Plastik in den Meeren zu haben…

… und doch haben wir den! Also erst einmal: Die Weltmeere sind für das Weltklima ausserordentlich wichtig und das Weltklima trifft jedes Land, unabhängig von Grenzen. Wir sitzen hier mittendrin und die Schweiz ist diesbezüglich keine Insel. Auch wenn es um Plastik geht. Wir haben zwar ein sehr gut funktionierendes PET-Recyclingsystem. Aber der restliche Plastikmüll, also alles, was kein PET ist, wird verbrannt. Das macht bei uns insofern noch Sinn, als dass wir damit heizen können. Aber das ist in tropischen Ländern natürlich unnötig. Dort wird Plastik einfach auf einem Landfill abgeladen und in der Regenzeit in die Flüsse und von den Flüssen ins Meer geschwemmt.

Im Gespräch:

Marc Krebs
© zVg Marc Krebs

Marc Krebs ist Co-Founder und CCO der Tide Ocean SA. Nachhaltig ist ein Unternehmen für ihn nur dann, wenn Umwelt, Mensch und Firmen profitieren. Auf die Frage, was sein Start-up denn mache, wenn ihm mal die Materialien ausgehen, antwortet er lachend: «Dann kann ich in Rente gehen, denn dann haben wir es geschafft. Aber das wird wohl so schnell nicht passieren.»

Wird das Plastik, das ihr an den Küsten sammelt, vor Ort verarbeitet oder holt ihr es in die Schweiz?

Wir granulieren in der Regel vor Ort. Aber für Schweizer Produkte müssen wir den Kunststoff natürlich hierher importieren, so wie alle Rohstoffe. Die Schweiz ist ja kein Ressourcenland. Für die Hersteller in Amerika oder Asien aber haben wir lokale Lieferketten aufgebaut. Es wird also kein Material in die Schweiz geholt, hier verarbeitet und dann wieder nach Asien zurücktransportiert – das wäre sinnlos.

Wenn das Material in die Schweiz transportiert wird, dann immer auf dem Seeweg. Und wir kompensieren alle Transporte mit myClimate. Ausserdem haben wir eine Analyse von Drittparteien erstellen lassen, um herauszufinden, ob das Material trotz des Transportweges nachhaltig ist. Die hat gezeigt, dass Meeresplastik selbst nach einer Verschiffung in die Schweiz noch fünfmal umweltfreundlicher ist als virgin plastic. Transporte lassen sich nicht vermeiden, aber wir versuchen, sie möglichst klein zu halten.

Hat euer Material eine bessere Ökobilanz als Plastik, dass innert der Schweiz recycelt und nochmal verwendet wird?

Die Ökobilanz ist besser als bei europäischem rPET. Weil wir etwas aus der Natur nehmen, was dort nicht hingehört und dadurch helfen, einen grossen Umweltschaden zu minimieren. Wenn bei uns in der Schweiz eine Flasche auf der Strasse landet, gelangt sie nicht so schnell ins Meer; dafür muss sie erstmal bis Rotterdam schwimmen und das ist eher unwahrscheinlich. Aber auf den Philippinen braucht es nur einen Monsun, um tonnenweise Plastik ins Meer zu schwemmen.

Besteht euer Rezyklat ausschliesslich aus Meeresplastik?

Ja, unser Plastik besteht zu 100 Prozent aus ocean bound plastic. Wir distanzieren uns klar von Greenwashing, wenn etwa ein Unternehmen 1 Prozent Meeresplastik mit 99 Prozent virgin plastic mischt und das Produkt dann mit ‘enthält Meeresplastik’ bewirbt. Das ist bei uns nicht so. Jedes Material, das bei uns zum Einsatz kommt, wurde davor bewahrt, noch grösseren Schaden anzurichten.

Je nach Produkt können natürlich noch andere Materialien hinzukommen, das müssen wir den Produzentinnen und Produzenten überlassen. Wir sind einfach froh, wenn jemand auf Rezyklat umstellt. Denn unsere Haltung ist: Es muss kein neues Material aus Kunststoff hergestellt werden. Es müssen nicht mehr Rohöl und mehr fossile Energien angezapft werden. Es ist alles schon da, es liegt rum! Wir müssen es nur einbauen.

Über #tide ocean material

Die Tide Ocean SA wurde vor drei Jahren gegründet mit der Idee, aus der Schweiz heraus eine Lösung zu entwickeln, wie die Verschmutzung der Meere durch Plastik eingedämmt werden kann. Das Schweizer Start-up bringt Plastik, das an Küsten gesammelt wurde, in den Kreislauf zurück, in dem daraus ein neues Material entsteht. 2022 wurde die Tide Ocean SA mit dem Swiss Ethics Award ausgezeichnet. «Bei uns steht Umweltschutz in einer engen Verbindung zu ethischem Handeln», betont Marc Krebs. Deshalb ist eine faire Entlohnung der Plastiksammlerinnen und -sammlern für das Schweizer Start-up grundlegend.

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