Zukunftsfähiges Wohnen braucht mehr als energieeffiziente Gebäude

Während Neubauten schon oft mit Labels wie Minergie gebaut werden, sind energieeffiziente Sanierungen noch selten, obwohl sie viele Vorteile für Hausbesitzer bringen. Woran das liegt und warum zukunftsfähiges Wohnen neben energieeffizient auch suffizient sein muss, erklärt Stefan Cadosch, Präsident des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA.

Interview mit Stefan Cadosch
Stefan Cadosch, Präsident des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA.

Herr Cadosch, bei Neubauten gehört Energieeffizienz schon zur Normalität. Warum verbrauchen wir trotzdem noch mehr Energie für die Nutzung von Gebäuden als für alle anderen Lebensbereiche?

Ältere Gebäude sind meist schlecht gedämmt. Dazu gehören etwa 70-80 Prozent der Bauten, die in der Schweiz bestehen. Deswegen ist es wichtig, dass der Fokus der Energieeffizienz in Zukunft nicht nur beim Neubau liegt. Dort haben wir bereits bewährte Methoden, z.B. mit Labels wie Minergie, die das abdecken. Aber im Bereich Renovationen fehlen verbindliche Standards zur Optimierung der Energieeffizienz.

Wer eine energetische Sanierung durchführt, hat auf lange Sicht finanzielle Vorteile und einen Komfortgewinn. Trotzdem liegt die Sanierungsquote bei nur einem Prozent.

Viele Ingenieure und Architekten konzentrieren sich auf den Neubau, weil man zielführender die eigenen Ideen umsetzen kann, aber es ist auch einfacher, von vornherein effizient zu bauen. Um das zu ändern, muss bei Fachleuten Aufklärungsarbeit geleistet werden. Aber auch Bauherren müssen ganz dringend sensibilisiert und auf die Vorteile aufmerksam gemacht werden.

Umweltfreundlich zu bauen oder zu sanieren bedeutet aber noch lange nicht, dass ein Gebäude auch energieeffizient genutzt wird. Wohnen wir auch zu verschwenderisch?

Aus diesem Grund widmen wir uns derzeit intensiv dem Thema Suffizienz. Dabei geht es nicht primär darum, dass man den Gürtel enger schnallen muss. Es bedeutet, dass man sich bewusst wird, was man sich alles vermeintlich Notwendiges leistet, aber in Wahrheit gar nicht benötigt. Und dass man nicht an Lebensgefühl oder an Lebensstandard verliert, wenn man diese Dinge aufgibt.

Es geht also nicht um den sonst viel gepredigten Verzicht für eine nachhaltige Zukunft?

Verzicht ist eine Zwangsmassnahme, das macht niemand gerne. Wenn man etwas erreicht hat, will man das auch auskosten. Aber wir können darüber nachdenken, was wir uns leisten wollen oder nicht. Wenn zum Beispiel die Kinder aus dem Haus sind, will man dann noch die grosse 7-Zimmer-Wohnung, oder reicht eine kleinere aus.

Demnach ist die Frage künftig nicht, wie kann ich mich einschränken oder verzichten, sondern, wie kann ich meinen Wohnraum besser organisieren?

Genau, wenn es architektonisch richtig gelöst wird, kann ein kleiner Raum mit 18 m2 besser genutzt werden als ein grosser Raum mit 35 m2. Es kommt dabei auf so genannte Soft Skills an, die etwa den optimalen Lichteinfall einbeziehen oder ob die Türen richtig platziert sind. Eine Wohnküche kann so manchmal viel mehr Qualität haben als wenn man Wohn- und Esszimmer trennt. 

Das klingt nach einer sinnvollen Anordnung des Wohnbereichs. Warum wurde nicht schon früher nach diesen Gesichtspunkten gebaut oder renoviert?

Die Diskussion der Suffzienz haben wir in der Vergangenheit kaum geführt und auch kaum führen müssen, weil die Devise war «mehr ist besser». Deshalb ist für mich die wichtigste Botschaft, dass man diesbezüglich buchstäblich Mauern einreissen muss. Wir müssen weiter denken als wir es bisher gewohnt waren.

Am beliebtesten ist derzeit das Bauen oder Sanieren mit Labels wie Minergie. Das bezieht jedoch die Suffizienz nicht mit ein.

Ein Label wie Minergie ist ein Hilfsinstrument. Anhand von einigen Kriterien kann ein Bauherr nachvollziehen, wie er energieeffizienter bauen oder sanieren kann. Was ein Label nie leisten kann, ist eine umfassende Sicht, denn dann wird es zu komplex. Jemand der wirklich effizient und suffizient baut, bezieht Labels mit ein, berücksichtigt aber auch weitere Faktoren, wie Lage, Erreichbarkeit, graue Energie usw.

Wie müsste das ideale Einfamilienhaus aussehen, wenn die Grundsätze des suffizienten und energieeffizienten Bauens beachtet werden?

Ein Einfamilienhaus ist grundsätzlich nie ideal, weil es zu viel Boden beansprucht. Eigentlich müsste das ideale Einfamilienhaus Teil eines grossen Mehrfamilienhauses sein, wo eine Wohneinheit so geschickt geplant ist, dass man sich fühlt wie in einem Einfamilienhaus. Das ist eine grosse Herausforderung, von diesen Objekten gibt es noch nicht viele.

Interview: Bianca Sellnow

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