Gegenvorschlag zur 2000-Watt-Gesellschaft sorgt für Aufruhr
Wer in Zürich mit staatlichen Subventionen nachhaltig bauen will, entkommt Heinrich Gugerlis prüfendem Auge nicht. Der Leiter der Zürcher Fachstelle für nachhaltiges Bauen verfolgt strikt die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft - und sorgt für verärgerte Architekten.

Was ist die 2000-Watt-Gesellschaft?
Das Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft wurde von der ETH Zürich im Rahmen des Programms Novatlantis erarbeitet. Gemäss dieses Projektes sollte jeder Erdbewohner mit einer kontinuierlichen Leistung von 2000 Watt leben können. Das ist derzeitig der weltweite Durchschnitt an stetigem Stromverbrauch. In der Schweiz liegt der Durchschnittswert heute bei fast 6000 Watt. Dies will man mit der 2000-Watt-Gesellschaft ändern, indem man die Energieeffizienz von Gebäuden, Fahrzeugen und Geräten optimiert und neue Technologien entwickelt. Bei Gebäuden bedeutet das beispielsweise klare Dämmvorschriften oder festgelegte Hochbaunormen.
Gugerli sieht sich die Zürcher Entwürfe für nachhaltige Bauten an und lehnt die ab, die nicht den erwarteten Energieeffizienz-Standards entsprechen. Da lässt er sich auch von den Architekten nicht dreinreden, berichtet Thomas Kiehl im Öko-Energieblog für Basel die-energie-bin-ich.ch. Zu weitläufige Gebäude erhalten seltener Subventionen. Stattdessen werden kompakte Gebäude vorgezogen, welche die Vorschriften der 2000-Watt-Gesellschaft möglichst genau erfüllen. Die Architekten haben darum in der Planung nicht mehr viel Bewegungsfreiheit.
Die Schönheit und Individualität der Gebäude hat in den neuen Vorschriften keinen Platz. Das führt dazu, dass im Grossraum Zürich mit Gugerlis Absegnung zwar ökonomisch und ökologisch einwandfreie Gebäude entstehen, diese aber dem Betrachter oft ein Dorn im Auge sind, erklärt Kiehl weiter im Öko-Energieblog für Basel.
An den ersten, konstruktiven Protest gegen die strikten Bauvorschriften der 2000-Watt-Gesellschaft wagte sich letzten Dezember ein ETH-Professor für Gebäudetechnik. Laut Professor Hansjürg Leibundgut habe unsere Gesellschaft kein Strom-, sondern ein Klimaproblem. Energieverbrauch und Emissionen seien zwei verschiedene Dinge, die man unterschiedlich anzugehen habe. Wichtig sei es deshalb vor allem, dass der Mensch seinen jährlichen CO2-Ausstoss auf eine Tonne Kohlendioxid beschränke. Das Vorhaben nannte er «1-Tonne-CO2-Gesellschaft». Seiner Meinung nach gilt es nicht, bei Gebäuden vorrangig auf die Vorschriften der 2000-Watt-Gesellschaft hin zu bauen. Vielmehr sollten individuelle Häuser errichtet werden, die ihren Energiebedarf selbstständig decken können und zur Steigerung der Energieeffizienz beitragen. Denn eine Selbstversorgung durch Solarstrom oder Erdwärme ermöglicht auch heute schon eine individuelle Bauweise trotz hoher Energieeffizienz.
Sein Anprangern des «Dämmwahns» fand bei vielen Architekten und Gebäudetechnikern Anklang. Leibundguts Vorschlag löste zudem laut Thomas Kiehl von die-energie-bin-ich.ch heftigste Diskussionen in der Nachhaltigkeitslobby aus. Primär ging es dabei um einen finanziellen Konflikt. Der Bundesrat hat nämlich versprochen, 200 Millionen Franken in Gebäudesanierungen zu investieren, die nach den Vorschriften der 2000-Watt-Gesellschaft durchgeführt werden sollen. Leibundgut verlangte jedoch eine differenziertere Gelderverteilung. Es sollten nicht nur Hersteller von Dämmmaterial subventioniert werden, sondern auch Firmen, die «grüne» Technologien entwickelten.
Gugerli und sein Team, die sich zu Beginn weigerten, Leibundguts Ideen gutzuheissen, haben sich in der Zwischenzeit mit dem ETH-Professor ausgetauscht und einen Kompromiss gefunden – der Nachhaltigkeits-Guru Gugerli lässt abklären, ob Leibundguts Ideen in Zürich überhaupt umsetzbar sind. Die von Leibundgut angepriesene Emissionsreduktion scheint also auf Interesse zu stossen. So sehr, dass die «Fachstelle 2000-Watt-Gesellschaft» auf ihrer Webseite die «1-Tonne-C02-Gesellschaft» zu seinen Zielen zählt.
Mehr zu nachhaltig Bauen und Umweltschutz erfahren Sie auf die-energie-bin-ich.ch, dem Ökoenergie-Blog für Basel.
Text: Sabrina Stallone