Die Corona-Krise als Klimaretter? – Die zwei Seiten der Medaille

Die Corona-Krise wirkt sich positiv auf die Umwelt aus – das macht sich vor allem in den sozialen Medien breit. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.

Die Corona-Krise als Klimaretter – Die zwei Seiten der Medaille
Foto © shuang paul wang / iStock / Getty Images Plus
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In sozialen Medien kursieren zahlreiche Bilder von sauberen Flüssen und Hafenbuchten, von Tieren, die sich ihren Lebensraum zurückerobern und vom blauen Himmel über sonst smoggeplagten Städten auf der ganzen Welt. Wegen dieser scheinbar positiven „Corona-Effekte“ wird das Virus in manchen Beiträgen auf Instagram geradezu als Umwelt-Held gefeiert. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille.

Auf der anderen Seite stehen Posts, die aufzeigen, wie Politik und Gesellschaft die Umwelt wegen der Corona-Krise hintanstellen. Hier stehen zwei Fragen im Vordergrund: Wie soll es nach der Krise mit dem Umweltschutz weitergehen und werden die Klimaziele trotzdem weiterverfolgt?

Die Ausgangssperre als Klimaretter

Während die Wirtschaft unter den Folgen der Corona-Krise stark leidet, profitiert die Umwelt vom Quasi-Grownding der weltweiten Flugflotte, von Produktionsrückgängen und der gesunkenen Stromnachfrage der Industrie. An manchen Orten auf der Erde sieht man die positiven Auswirkungen aufs Klima besonders deutlich: In Venedig sind die Kanäle glasklar, in Punjab hat man nach 30 Jahren erstmals wieder freien Blick auf das Himalaya-Gebirge, das 200 Kilometer entfernt ist, und über ganz China zeigen Satellitenbilder eine Verbesserung der Luft, wie dieses Video von Arte zeigt.

Diese positiven Nachrichten verbreiten sich auch bei Instagram wie ein Lauffeuer.

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Ein Beitrag geteilt von lend a hand to save?‍♂️ (@lendahandtosave) am

 

Aber auch wissenschaftlich fundierte Beiträge zeigen, wie das Corona-Virus der Umwelt zugutekommt – so etwa der Beitrag von @spiegelmagazin.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Ein Beitrag geteilt von DER SPIEGEL (@spiegelmagazin) am

Dass die Meinungen bezüglich der positiven Wirkung der Pandemie auf die Natur weit auseinander gehen, zeigen unter anderem die Kommentare unter den Beiträgen. Zudem gibt es zahlreiche Posts, die das Gegenteil unterstreichen: Dass nämlich wegen des Corona-Virus der Umweltschutz vernachlässigt wird und die Politik in vielen Ländern die Klimaziele zugunsten der Wirtschaft aufschiebt.

Die Corona-Krise als Klima-Krise

Dass das Coronavirus keinen Anlass bietet, sich für die Umwelt zu freuen, hat viele Gründe. Allen voran die Tatsache, dass es bereits über 228‘000 Menschen weltweit das Leben gekostet hat und täglich neue Infektionen hinzukommen.

Aber auch der positive Effekt auf die Umwelt bleibt kritisch zu betrachten. Wie Prof. Dr. Martin Grosjean, Leiter für Klimaforschung an der Uni Bern, in einem Interview mit dem Nachrichtenportal Watson betont, ist die zeitweise lahmgelegte Industrie für die Umwelt „nicht mal ein Tropfen auf dem heissen Stein.“

Die positiven Auswirkungen der Pandemie auf die Umwelt werden allem Anschein nach nicht von langer Dauer sein: Das Bundesamt für Umwelt (BafU) etwa spricht von einer kurzfristigen Verbesserung der Luftqualität in der Schweiz.

Aber auch international zeichnet sich ab, dass die Umwelt und das Klima unter den Folgen der Pandemie leiden werden. Länder wie Tschechien und Polen wollen die Klimaziele der EU bis 2030 zugunsten der Wirtschaft aufschieben (Arte). Auch China will bei der Umweltaufsicht ein Auge zudrücken, um die stark betroffene Wirtschaft nach der Krise wieder anzukurbeln.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Ein Beitrag geteilt von Anina | vegan + eco lifestyle (@aniahimsa) am

Online fürs Klima streiken

Für die Umwelt auf die Strassen gehen – das ist wegen der Pandemie hierzulande und weltweit nicht mehr möglich. Die Bewegung scheint ob der aktuellen Krise beinahe vergessen zu gehen. Um in diesen Zeiten nicht unterzugehen, streiken Klimaaktivisten online: Greta Thunberg ruft seit einem Monat Gleichgesinnte dazu auf, vom Wohnzimmer aus an den Online-Streiks teilzunehmen.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Ein Beitrag geteilt von Klimastreik Schweiz (@klimastreikschweiz) am

Anstatt durch die Städte zu ziehen, hängen Teilnehmer der Fridays-for-Future-Bewegung Plakate und Banner an Balkone und Fenster und teilen Fotos von den Plakaten bei Facebook oder Instagram unter dem Hashtag #climatestrikeonline. In einem 24-Stunden-Livestream am vergangenen Freitag traten ausserdem Live-Bands und Referenten auf, darunter auch Greta Thunberg.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Ein Beitrag geteilt von Caro? eco, vegan + mindfulness (@fairlis.de) am

Was uns schützt, gefährdet die Umwelt

Eine Folge der Corona-Pandemie für die Umwelt zeigten Umweltaktivisten auf Instagram insbesondere durch Bilder von den Küsten vor Hong Kong: Eine Meeresschutzorganisation sammelte am Strand der Soko Inseln unzählige Plastikhandschuhe und Mundschutzmasken ein, die das Meer dort bereits seit Februar anspült. Beide medizinischen Einwegprodukte bestehen aus Kunststoff, der in der Natur nie ganz verrottet, sondern sich über hunderte Jahre zu Mikroplastik zersetzt und Meerestiere sowie ganze Korallenriffe gefährdet.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Ein Beitrag geteilt von Let’s Clean the Planet (@letscleantheplanet) am

Dadurch, dass immer mehr Menschen zum Schutz Masken und Einweghandschuhe tragen und in manchen Ländern sogar eine Maskenpflicht besteht, werden die Einwegprodukte im grossen Ausmass produziert. Problematisch wird es auch hierzulande dann, wenn die Masken und Handschuhe nicht richtig entsorgt werden und unachtsam in Flüsse, See oder auf den Gehweg geworfen werden.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Ein Beitrag geteilt von littering in zürich (@litteringinzurich) am

Zumindest für die Mundschutzmasken gäbe es gute Alternativen, nämlich wiederverwendbare Stoff-Schutzmasken.

Kurzfristig positiv: Wie geht‘s nach der Krise weiter?

Die einen sehen in der Corona-Krise einen Klimaretter, die anderen fürchten eine Verschlechterung des Umweltschutzes zugunsten der Wirtschaft. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die positiven Effekten für die Umwelt nur von kurzer Dauer sein werden: «Der Effekt der sauberen Luft wird leider nicht lange andauern. So bald Industrie und Verkehr wieder rollen ist auch die Luftverschmutzung wieder da», äussert sich ETH-Klimatologe Reto Knutti in einem Interview mit Nau.ch.

Auch Dr. Johannes Schuler, Projektleiter für Nachhaltigkeit und Infrastruktursysteme am Fraunhofer-Institut, warnt in einem Interview mit National Geographic vor einem Rebound-Effekt, den es etwa nach der Weltwirtschaftskrise 2008 gab: „In Bezug auf Emissionen gab es nach der Weltwirtschaftskrise 2008 einen kleinen Knick in der CO2-Bilanz im Folgejahr. Doch bereits 2010 stiegen die Emissionen auf das damalige Allzeithoch von 9,1 Milliarden Tonnen.“

Für den Umweltschutz ist nach der Corona-Krise also besonders wichtig, dass das Erreichen der Klimaziele nicht zurückgesteckt wird. Doch dieses Phänomen lässt sich bereits jetzt etwa in den USA beobachten, wo die US-Umweltbehörden beschlossen haben, die Richtlinien für umweltschädliche Unternehmen auszusetzen, um die Wirtschaft nicht weiter zu belasten.  

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