Fränzi Akert von Garçoa: «Schokolade kann nachhaltig sein – doch unser Konsum muss sich ändern»Von der Kakaobohne bis zur fertigen Schokoladentafel: Die Pionierin der Schweizer Bean-to-Bar Szene übernimmt in ihrer Manufaktur sämtliche Produktionsschritte von der Bohne bis zur fertigen Tafel selbst. Die Zürcher Schokoladenmacherinnen möchten so mehr Wertschätzung für nachhaltige Schokolade und neue Absatzkanäle für Kakaoproduzent:innen schaffen. Wie das geht, erklärt Fränzi Akert, die Gründerin von Garçoa, im Interview. Vanessa Gygax Fränzi Akert macht die geschmackliche Vielfalt der Schokolade in ihrem Schoggi-Pop-up in Zürich erlebbar. © Garçoa Niemand isst mehr Schoggi als wir Schweizer:innen: Pro Jahr und Kopf werden gemäss dem Bundesamt für Statistik 11 kg vertilgt! Dies hat seinen Preis: Dafür werden gemäss kakaoplattform.ch jährlich 55’000 Tonnen Kakao importiert und verarbeitet. Das entspricht pro Tag dem Gewicht von 25 ausgewachsenen Elefanten! «When a cacao bean could talk, it would tell so many stories» – dies sagte einst eine Lageristin in Uganda zu Fränzi Akert von Garçoa. Wie viele Stationen und Menschen hinter einer einzelnen Tafel Schokolade stehen und wie das «Milchschoggiland Schweiz» zu dunkler Schokolade steht, erfährst du im Interview. Zur Person: Fränzi Akert ist gelernte Käserin und promovierte Agrarwissenschaftlerin. Auf einer Peru-Reise lernte die 1985 geborene Zürcherin die Vielfalt der Kakao-Herstellung kennen. Danach war für Fränzi klar: Sie hat in Zukunft keine Lust mehr, Schoggi zu essen, bei der sie nicht die komplexe Geschmacksvielfalt von Kakao entdecken kann. Also gründete sie 2016 die Zürcher Schoggi-Manufaktur Garçoa, die sich der Bean-to-Bar-Methode verschrieben hat. Fränzi, wie schwierig ist es, sich mit nachhaltiger Bean-to-Bar-Schokolade gegen grosse Marken in der Schweiz durchzusetzen? Ich sehe unsere Art «Schokolade zu machen» nicht in direkter Konkurrenz zu industriell gefertigter Schokolade, sondern eher als neue Herangehensweise an das Thema Schokolade. Wir wollen uns also nicht gegen die grossen Marken durchsetzen, sondern bespielen eine Nische und zeigen dabei eine Alternative auf – in Geschmack, Produktion und Sourcing. Als Produkt – und beim Konsumverhalten – sind wir zudem näher bei Pralinen als bei herkömmlicher Milchschoggi. Als Manufaktur, die mit nur gerade zwei Zutaten auskommt, heben wir uns deutlich von den «Grossen» ab und für die Kakaobäuer:innen bieten wir einen direkten Absatzkanal für hochwertigen Specialty cocoa – ein Gegenentwurf zum börsengehandelten Bulk cocoa. Durch unsere puristischen Rezepte betonen wir die einzelnen Geschmacksnoten und loten Grenzen im Universum der Aromen aus. Das hat nichts mit einer Milchschokolade aus dem Supermarktregal zu tun. Vielmehr vergleiche ich unsere Schokolade mit einem Luxusnahrungsmittel wie Wein oder Kaffee. Für eine Flasche Wein zahlen viele gerne 20 Franken, weil sie überzeugt sind, dass günstiger Wein minderwertig ist. Historisch gesehen herrscht in der Schweiz jedoch immer noch die Haltung: «Wir haben ein Anrecht darauf, Schokolade günstig zu kaufen» – häufig wird also gedacht, Schokolade dürfe nicht mehr als 10, oder gar 5 Franken kosten. Wer aber versteht, was alles in einer Tafel nachhaltiger Schokolade steckt, findet es erstaunlich, dass eine Tafel Schokolade oft günstiger ist als eine kleine Flasche Wasser. Der lange Weg von der Kakaobohne zur Schoggi-Tafel Bei Garçoa sieht das beispielsweise so aus: Während fünf Monaten werden die Kakaobohnen im peruanischen Amazonasgebiet in der Region Curimaná geerntet und anschliessend jeweils sieben bis zehn Tage lang fermentiert und getrocknet. Danach wird der Kakao von der Farm mit einem Holzboot, das sechs Stunden lang den Fluss hinunterfährt, zur Kooperative transportiert. Sobald der Container – die kleinste Transporteinheit – mit 24 Tonnen Kakaobohnen gefüllt ist, wird er zum Hafen gebracht. Von dort dauert die Verschiffung nach Europa etwa vier bis sechs Wochen, gefolgt von einem Weitertransport per LKW zur Manufaktur im Zürcher Kreis 2, wo die Feinarbeit beginnt. Die Verarbeitung in der Manufaktur ist zwar Maschinenintensiv und benötigt viele Handgriffe, geht aber in Bezug auf Zeit vergleichsweise schnell. An der Rezeptur wird rund drei Wochen lang gearbeitet, bevor die Bohnen geröstet, gebrochen, geschält, in der Steinmühle gemahlen, mit etwas Bio-Rohrohrzucker vermischt und schliesslich in die Garçoa-typische distinktive Form gegossen und verpackt werden. Steht das Rezept, braucht es ungefähr eine Woche von der getrockneten, noch rohen, Kakaobohne bis zur fertigen Schokoladenmasse. Fürs Giessen der Schokoladentafel und Verpacken dauert es dann nochmals etwa einen Tag. Schokolade steht oft in der Kritik – sei es wegen Kinderarbeit, unfairen Arbeitsbedingungen oder Umweltproblemen beim Kakaoanbau. Nachhaltigkeit in der Schokolade – geht das überhaupt? Schokolade ist ein komplexes Produkt und hat einen grossen Impact. Deshalb ist es wichtig, wie wir Schokolade konsumieren – und welche. Als Schokoladenmacherin bin ich überzeugt, dass es einen Weg gibt, Schokolade nachhaltig zu produzieren. Es ist wichtig, dass die Rohstoffe – Kakao und Zucker in unserem Fall – ökologisch nachhaltig und unter sozial fairen Bedingungen angebaut werden. Der Wald muss geschützt werden und es darf nicht unnötig Fläche verbraucht werden. Hier sehe ich auch als Agronomin grosses Potential in der Steigerung der Produktionseffizienz – also darin, nicht mehr Fläche zu verbrauchen, sondern mehr Kakao pro Fläche zu produzieren – auch im Bio-Anbau. Der soziale Aspekt, Schutz der Mitarbeitenden und Familienmitgliedern, insbesondere auch der Frauen und Kinder, ist uns wichtig. Deshalb wollen wir die Lebens- und Arbeitsbedingungen unserer Partner:innen kennen und sind immer wieder vor Ort und in persönlichem Kontakt. Welchen Einfluss auf die Nachhaltigkeit habt ihr in eurer Manufaktur in Zürich? Der Anbau von Zucker und Kakao sowie der Transport haben sicher einen grossen Impact auf die ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Deshalb arbeiten wir mit Zutaten aus biologischer Landwirtschaft und kennen unserer Partner:innen persönlich. Wir unterstützen mit Aktionen wie «Cacao Friday» auch Aktivitäten unserer Partner:innen zum Schutz von Primärwaldflächen oder stetige Verbesserungen im sozialen Bereich. Dank der direkten Wertschöpfungskette brauchen wir keinen unnötigen Zwischenhandel und halten die Transportwege damit so kurz wie möglich. In unserer Manufaktur gehen wir sehr sorgfältig mit den Rohstoffen um und halten unsere Abfälle sehr gering. Eine Produktion mit Imperfektionen verarbeiten wir beispielsweise zu Backschokolade. Auf eine Tonne Kakaobohnen entfallen etwa 200 Kilogramm Schale. Das ist eine beachtliche Menge, bei der wir uns bemühen, alles sinnvoll weiterzuverwerten. Diese werden zu Tee oder Kakaoschalengeist weiterverwertet – und was übrigbleibt, wird von einem Schweizer Landwirt als Futter für seine Ziegen genutzt. Die Verpackung ist zudem ein weiteres wichtiges Thema, wenn es um Lebensmittel geht. Wir sind stetig dran, gute Lösungen zu finden. Eine leider immer noch aktuelle Baustelle ist unsere Innenverpackung der Schokoladentafel. Momentan verwenden wir einen Monoplastik, der zwar recyclebar ist, uns aber noch nicht ganz zufriedenstellt. Mit einem unserer Retail-Partner haben wir ausserdem ein Karton-Recycling-Projekt – wir verwenden seine gebrauchten Kartons für den Versand unserer Schokoladen wieder. Welche Tipps hast du für Schokoladenliebhaber:innen, die bewusster geniessen möchten? Ich schaue immer auf: biologisch, rückverfolgbar und lokal. Ich stelle mir also folgende Fragen: Wer hat das Produkt wirklich hergestellt? Welche Zutaten sind drin? Woher kommen die Zutaten? Unter welchen ökologischen und sozialen Bedingungen wurden sie produziert? Wie transparent werden diese Informationen geteilt, wie konkret sind die Angaben? Diese Fragen sind leider gar nicht immer so einfach zu beantworten. Es bedeutet oft viel Recherche vor dem Genuss. Dafür ist der Genuss danach umso grösser … Was stimmt dich optimistisch für die Zukunft? 2016 sind wir als erste ausschliessliche Bean-to-Bar Produzentin der Schweiz gestartet. Damals war in der Schweiz höchstens das Konzept «Single Origin Schokolade» – also Schokolade aus einer Region – bekannt, das Konzept «Bean-to-Bar» war nicht geläufig. Heute habe ich den Überblick über die genaue Anzahl an Bean-to-Bar Produzent:innen verloren. Nur schon in Zürich sind wir vier Unternehmen, die nach diesem Prinzip arbeiten. Das ist toll! Zudem gibt es auch weitere spannende Konzepte, die sich für nachhaltige Schokolade einsetzen, und dabei bei der Ownership ansetzen oder aufs Sourcing fokussieren. Das stimmt mich optimistisch. Eine schöne Sache ist beispielsweise auch das Schoggifestival «ehr und redlich», das diese Bewegung jeweils im April in Zürich zusammenbringt. Mehr Interviews Captain Boomer Collective: «Unsere Kunst wird die Welt nicht retten, aber die Leute berühren» Dr. Madeleine Orr: «Die Olympischen Spiele können nicht nachhaltig sein» Maria Paula Calderon: «Bei nachhaltigem Schmuck geht es auch um Menschen und Kultur» Tom Strobl «Ein grüner Rasen reicht den Wildbienen nicht» Dorinda Phillips: «Scheut nicht davor zurück, hohe Ziele zu setzen» Thomas Crowther: «Gesunde Artenvielfalt muss sich wieder lohnen» 8 clevere Tipps für mehr Nachhaltigkeit im Badezimmer Züri rännt: «Ploggen allein löst die Litteringproblematik nicht» Marco Sonderegger: «Für eine Schwammstadt braucht es Toleranz» Accenture Schweiz: «Viele Grossfirmen haben weiterhin kein Netto-Null-Ziel» Jobs for Future: «Wir können in jedem Beruf Einfluss nehmen» Raffael Ayé: «Die Schweiz wird beim Naturschutz abgehängt» KlimaSeniorinnen: «Wir können endlich etwas bewegen» Urs Niggli: «Ernährungssicherheit kann nur mit KI garantiert werden» Too Good To Go: «Die meisten Lebensmittel würden im Müll landen» David Bittner: «Müssen uns an neue Fischarten gewöhnen» Stephan Wüthrich: «Die Baubranche muss mutiger werden» Hansjörg Ladurner: «In der Küche ist viel Wissen verloren gegangen» Jan Bieser: «KI kann Fluch oder Segen für den Klimaschutz sein» Marie Seidel: «Fühlte mich noch nie so sehr am richtigen Platz» Captain Boomer Collective: «Unsere Kunst wird die Welt nicht retten, aber die Leute berühren» Dr. Madeleine Orr: «Die Olympischen Spiele können nicht nachhaltig sein» Maria Paula Calderon: «Bei nachhaltigem Schmuck geht es auch um Menschen und Kultur» Tom Strobl «Ein grüner Rasen reicht den Wildbienen nicht» Dorinda Phillips: «Scheut nicht davor zurück, hohe Ziele zu setzen» Thomas Crowther: «Gesunde Artenvielfalt muss sich wieder lohnen» 8 clevere Tipps für mehr Nachhaltigkeit im Badezimmer Züri rännt: «Ploggen allein löst die Litteringproblematik nicht» Marco Sonderegger: «Für eine Schwammstadt braucht es Toleranz» Accenture Schweiz: «Viele Grossfirmen haben weiterhin kein Netto-Null-Ziel» Jobs for Future: «Wir können in jedem Beruf Einfluss nehmen» Raffael Ayé: «Die Schweiz wird beim Naturschutz abgehängt» KlimaSeniorinnen: «Wir können endlich etwas bewegen» Urs Niggli: «Ernährungssicherheit kann nur mit KI garantiert werden» Too Good To Go: «Die meisten Lebensmittel würden im Müll landen» David Bittner: «Müssen uns an neue Fischarten gewöhnen» Stephan Wüthrich: «Die Baubranche muss mutiger werden» Hansjörg Ladurner: «In der Küche ist viel Wissen verloren gegangen» Jan Bieser: «KI kann Fluch oder Segen für den Klimaschutz sein» Marie Seidel: «Fühlte mich noch nie so sehr am richtigen Platz»