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Dr. Madeleine Orr: «Die Olympischen Spiele können nicht nachhaltig sein»

Das Jahr 2024 ist geprägt von Grossveranstaltungen wie der Fussball-Europameisterschaft in Deutschland und den Olympischen Sommerspielen in Paris. Doch sind solche Sportgrossveranstaltungen noch zeitgemäss und klimaverträglich?

Dr. Madeleine Orr
Madeleine Orr forscht über den Zusammenhang von Sport und Klimawandel. © Madeleine Orr

Die Olympischen Spiele 2024 geben sich grün und nachhaltig: Paris 2024 hat sich verpflichtet, die ersten vollständig CO2-neutralen Spiele zu veranstalten. Dafür wird auf bestehende Bauten gesetzt, um Bauabfälle zu minimieren, der Strom wird ohne Brennstoffgeneratoren bereitgestellt und die Seine wird sauber und wiederbelebt.

Das sind ambitionierte Pläne. Doch lässt sich ein Millionenanlass ökologisch umsetzten? Die kanadische Forscherin Dr. Madeleine Orr hat die Auswirkungen des Klimawandels auf die Sportwelt untersucht. Im Interview teilt sie ihre Erkenntnisse und mögliche Lösungen. 

Zur Person: Die Kanadierin Dr. Madeleine Orr ist eine renommierte Forscherin im Bereich Sport und Klimawandel. In ihrem 2024 erschienenen Buch «Warming up. How climate change is changing sport» beschreibt sie die Auswirkungen des Klimawandels auf die Sportwelt – und welchen positiven Einfluss Sportveranstaltungen auf die Klimabewegung haben können.

Madeleine, du hast mal gesagt, es ist möglich, unterhaltende Dinge wie Sport zu nutzen, um beängstigende Fakten wie Ungerechtigkeiten zu verstehen. Was hat dir dabei geholfen, den Klimawandels zu begreifen?

Vor etwa zehn Jahren habe ich eine Skisaison lang in den französischen Alpen gearbeitet. Dabei bekam ich die Auswirkungen eines schlechten Schneejahres zu spüren – nicht nur auf die Tourismuswirtschaft, sondern auch auf die Moral der Leute, die Verletzungsraten und Lawinengefahr. Nachdem ich diesen Zusammenhang im Skisektor erkannt hatte, begann ich, ihn auch in anderen Sportarten zu erkennen: Beim Sommersport wurde es sehr heiss, bei Wassersportarten gab es Probleme mit Wasserverschmutzungen und warmem Wasser, und beim Feldsport waren es Dürreperioden und Überschwemmungen. Ich dachte mir, dass vielleicht auch andere Menschen den Klimawandel durch diese Brille erkennen können. Vielleicht sind die Auswirkungen auf den Sport besser nachvollziehbar als bei Eisbären oder an weit entfernten Orten.

In der Vergangenheit haben wir grosse Umweltauswirkungen von Sportevents wie 2014 in Sotschi, Russland, erlebt. Können Grossveranstaltungen wie die Olympischen Spiele überhaupt ökologisch sein?

Für Mega-Events ist es schwierig, nachhaltig zu sein, da das Modell auf ein Spektakel ausgerichtet ist – viele Fans und Touristen für einen bestimmten Zeitraum an einem Ort. Trotzdem haben diese Veranstaltungen einige wichtige neue Standards gesetzt, was die Abläufe der Austragungsorte und die Art der Übertragung im Sport betrifft.

In Paris beispielsweise wird die gesamte Energie für Übertragungen aus dem normalen Stromnetz kommen, statt aus Brennstoffgeneratoren, was eine enorme Verbesserung gegenüber früheren Spielen darstellt. Nichtsdestotrotz ist das Gesamtmodell der Olympischen Spiele nicht nachhaltig – und das wird ein schwieriges Problem sein, das es in den nächsten Jahrzehnten zu lösen gilt.

Basierend auf deiner Forschung: Welche konkreten Massnahmen würden helfen, die Umweltbelastung dieser grossen Veranstaltungen erheblich zu reduzieren?

Die Veranstaltungen in einem kleineren Rahmen durchführen. Ich weiss, das klingt pessimistisch und die Investoren werden es nicht mögen, aber es ist eine der wenigen Optionen, die ich als machbar sehe, um die Auswirkungen auf unser Klima zu reduzieren. Die Organisatoren können die negativen Auswirkungen auf die Umwelt zwar nicht wirklich vermeiden, da diese Veranstaltungen mit viel Reisen und Tourismus verbunden sind.

Um dem entgegenzuwirken, müssen wir bereits bestehende und kleinere Veranstaltungsorte nutzen, den Ausbau und die Nutzung des öffentlichen Verkehrs in den Austragungsstädten fördern und beschleunigen und alle Partner und Sponsoren dabei unterstützen, ebenfalls Teil dieser Transformation zu sein. Im Zuge dessen wird auch die Umstellung auf Fernübertragungen umso wichtiger sein, damit mehr Menschen von zu Hause aus zuschauen können anstatt zu den Spielen zu reisen. Nur so könnten wir eine nachhaltigere Version der Olympischen Spiele und anderer Grossevents erleben.

In deiner Forschung bist du der Frage nachgegangen, ob die Sportwelt bereit für den Klimawandel ist. Hast du eine Antwort gefunden?

Ja, sie lautet: Der Sport ist nicht auf den Klimawandel vorbereitet. In vielen Teilen der Welt sind Sportverbände mit schlimmen Bedingungen konfrontiert wochenlange Extremhitze, regelmässige und schwere Überschwemmungen, Waldbrände, wärmere Winter, Dürreperioden und vieles mehr. Derzeit konzentriert sich die Arbeit punkto Nachhaltigkeit im Sport auf die Eindämmung des Klimawandels. Das ist absolut notwendig und wichtig. Aber auch sämtliche LED-Leuchten und Energieeinsparungen der Welt werden die Organisation nicht vor den Auswirkungen von extremer Hitze oder Überschwemmungen schützen.

Die Branche muss schnell damit beginnen, sich anzupassen. Paris 2024 hat in dieser Hinsicht gute Arbeit geleistet. So hat das Internationale Olympische Komitee kürzlich die Mindestanforderungen für die Grösse der Veranstaltungsorte für die Austragung reduziert, was ein grosser Schritt ist.

Was ist im Moment deine grösste Hoffnung in Bezug auf den Klimawandel für die Zukunft?

Zum jetzigen Zeitpunkt können wir die meisten Worst-Case-Szenarien noch abwenden, wenn wir die notwendigen Veränderungen vornehmen. Keine der vorhergesagten Katastrophen ist eine beschlossene Sache. Aber es wird einige Änderungen und Opfer erfordern – insbesondere von jenen Ländern, die am meisten Emissionen verursachen, aber auch von «nicht essenziellen» Sektoren, wozu auch der Spitzen- und Profisport dazugehört.

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