Regionale Bioprodukte aus der Stadt: so wird das Dach zum Garten
Auf Zürcher Dächern sollen sich Fische vermehren und Karotten gedeihen. Damit wollen die «Urban Farmers» die ökologische Selbstversorgung der Stadtbewohner ankurbeln. Und auf Basler Balkons gedeiht Gemüse in alten Einkaufswagen. Bioprodukte aus der Stadt sind im Kommen.

Balsamiko-Pflanzen auf dem Fensterbrett machen nicht satt. «Wir leben im Jahrhundert der Städte, weil jetzt schon über die Hälfte der Weltbevölkerung in den großen Agglomerationen wohnt. Bis 2030 werden es über 70 Prozent sein», sagt einer der führenden internationalen Stadtplaner, Albert Speer. Und dabei gilt es, keine Flächen zu verschwenden und nachhaltig alle satt zu machen. Diese Entwicklung gilt nicht nur für Megastädte wie Hongkong oder New York, sondern auch für die Schweiz. Deshalb haben sich Initiativen beispielsweise in Basel und Zürich zum Ziel gesetzt, Städter zu Bauern zu machen, die sich bis zu einem gewissen Grad selbst versorgen. Das fängt bei bepflanzten Einkaufswägen auf Balkons an, geht aber noch weiter: Manche von ihnen wollen gar Fischbecken und Treibhäuser auf die Dächer von Gebäuden, auf brachliegende Flächen und in zeitweilig ungenutzte Gebäuden bringen.
Am Puls der Zeit
Letztere grosse Pläne haben die «Urban Farmers» in Zürich und sie sind keineswegs Öko-Spinner. Ökonom Roman Gaus, einer der federführenden Initianten: «Ich will wieder mehr teilhaben an der Nahrungsmittelproduktion und da bin ich nicht der einzige.» Innerhalb von fünf Jahren soll eine Amortisation einer Fischzucht-Anlage auf städtischem Dach möglich sein, hat er mit seinen Mitstreitern berechnet. Mit der Idee treffen sie den Puls der Zeit, die durch EHEC-, Dioxin- und BSE-Skandale geprägt ist, in der der Wunsch nach mehr Mitbestimmung und Miteinander laut wird und Profit nicht mehr nur ökonomisch definiert wird. Als Teil des Zürcher «Hub Zürich», eines Ortes für nachhaltig denkende Gründer, stehen sie auch für eine neue Art des Wirtschaftens.
Ein umweltfreundlicher Kreislauf
Die Idee sei Cleantech des 21. Jahrhunderts, sagt Gaus: «Das Abfallkonzept gehört dem 20. Jahrhundert an, wir verwerten neu.» Denn bei der Fischzucht fallen als Abfallprodukte genau die Nährstoffe an, die manche Gemüsesorten zum Wachsen brauchen. Im Rahmen des sogenannten Aquaponic-Systems wird somit Fisch und Pflanze in einer Anlage gezüchtet und es entsteht ein fast geschlossener Kreislauf, der wenig Wasser benötigt und umweltfreundlich ist. Dass das funktioniert, beweist eine Anlage in Wolhusen bei Luzern, sagt der wissenschaftliche Kopf der Urban Farmers, Andreas Graber. Er ist Dozent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil und Aquaponic-Spezialist. «In Wolhusen gedeihen bereits seit 2004 gemeinsam Pflanzen und Fische auf hundert Quadratmetern und die Produktion ist wirtschaftlich», sagt Graber. Die Anlage setzt der Überfischung der Meere sowie CO2- und energieintensiven Transportwegen von Nahrungsmitteln ein funktionierendes System entgegen.

Kleine U-Farms können überall angelegt werden. Foto: arinahabich, iStock, Thinkstock
Die neuen Bauern wollen zum einen kleine Anlagen möglich machen, so genannte «U-Farms», die beispielsweise in Containern untergebracht sind. So sieht man sie vor dem Hub Zürich. Und Anfang Juni feierten sie im Berliner Kulturzentrum Malzfabrik die Premiere ihres Minischrebergartens 2.0 in Deutschland. In einem umgebauten Schiffscontainer, der mit einem Glashaus als Dach versehen ist, sollen auch Berliner auf kleinstem Raum ihr täglich Gemüse anbauen. Auf dem Dach der Malzfabrik soll eine Aquaponic-Urban Farm entstehen. Denn das ist das zweite Ziel: Flächen zur Zwischennutzung für Fischanlagen finden. Und weil Probleme wie das der Lebensmittelknappheit in der Schweiz weniger dringlich ist als in ärmeren Staaten, ist für Andreas Graber klar, dass Zürich nur ein Testballon ist: «Ich will, dass das Prinzip hier funktioniert. Dann kann man es auch weltweit einsetzen.»
«keinkaufswagen» statt Einkaufswagen
Die Mitmach-Hürde ist in Basel geringer. Und das ist von den Initianten der Aktion «keinkaufswagen» auch so gewollt - Städter sollen merken, wie viel Spass und wie stolz es macht, Selbstgezogenes zu geniessen. Während drei öffentlichen Pflanzaktionen haben in diesem Jahr bereits 150 Menschen 115 ausrangierte Einkaufswagen zu mobilen Gemüsegärten umgestaltet. Erfunden von der 25-jährigen Tilla Künzli, wird hierbei in einen alten Einkaufswagen Erde geschüttet und dann bepflanzt. So einfach ist das. Und für wen das immer noch zu schwer ist, der findet Gärtnertipps und persönliche Hilfe auf der Webseite der Organisatoren. Auf gemeinsamen Picknicks wird das Gewachsene dann verspeist.
Der Bauernhof im Hochhaus
Ein Vorreiter des städtischen Bauerntums ist Dickson Despommier, Professor für Umweltgesundheit und Mikrobiologie an der Columbia University in New York. Er hat mit seinen Studenten die Idee des «Vertical Farmings» entwickelt. Denn Kleingärten und Gewächshäuser auf den Dächern des Big Apple wurden immer beliebter. Doch er denkt in grossen Dimensionen: In mehrstöckigen Gebäuden, so genannten Farmscrapers, soll dem Konzept nach Landwirtschaft mitten in Städten möglich sein. So soll bis zu zehnmal mehr Ertrag als in traditionellen Gewächshäusern möglich sein. Auf den diversen Ebenen der «hängenden Gärten» könnten auf Basis von Hydrokultur und Kreislaufwirtschaft Früchte wachsen, Gemüse, Speisepilze und Algen. Und auch Tiere wie Huhn und Henne oder Schwein sollen dort glücklich werden. Solar- und Biogasanlagen liefern die notwendige Energie. Lang könnte es nicht mehr dauern, bis erste Farmscrapers eröffnet werden – unter anderem in New York und in Suwon, einer Satellitenstadt vor den Toren Seouls, laufen Planungen zur Realisierung.
Text: Yvonne von Hunnius