«Wir müssen den Blick auf die Sterne zurück erobern»

Wann haben Sie zum letzten Mal die Milchstrasse gesehen? Oder in einer lauen Sommernacht die Sternschnuppen zählen können? Den stadtnahen Nachthimmel zu sehen, würde jetzt manch einer antworten, sei heute wegen der starken künstlichen Beleuchtung nahezu unmöglich – das wisse jedes Kind. Theo Wirth von «Dark Sky» findet aber: «Wir müssen uns dagegen wehren!»

Tiefschwarze Himmel sucht man in Zürich vergebens.
Zurich by Night, könnte dieses Bild betitelt sein. Ein eigentlicher Nachthimmel ist jedoch nicht zu sehen. Foto: © gipfelstuermer - Fotolia.com

«Dark Sky» ist eine Non-Profit-Organisation, die sich für die Reduktion der Lichtverschmutzung einsetzt. Sie macht Behörden, Unternehmen und Privatpersonen auf die Problematik aufmerksam, berät und unterstützt sie auf dem Gebiet. Dark Sky Switzerland (DSS) wurde 1996 als Schweizer Sektion der Internationalen Dark Sky Assoziation gegründet.

Die in der Organisation als Berater fungierenden Vorstandsmitglieder sind ausgebildete Architekten, Umweltingenieure, Ökonomen und Lichtplaner. Diese halten Referate und engagieren sich in der Öffentlichkeitsarbeit, beraten aber auch Leute, die sich von Lichtverschmutzung gestört fühlen. Dabei bleiben sie aber meist im Hintergrund: Sie raten den Betroffenen, sich bei den kantonalen Umweltämtern und bei Parteien zu melden oder – wenn alle Stricke reissen – die lokalen Medien zu mobilisieren.

Seit 2007 gibt es bei «Dark Sky» auch eine Geschäftsstelle, welche die Aktivitäten der Organisation koordiniert. Theo Wirth war vor dem Antreten der Stelle als Geschäftsleiter von «Dark Sky» bei verschiedenen Unternehmen als Manager und als selbständiger Unternehmer tätig. Weshalb er sich jetzt aber für die Reduktion von Lichtverschmutzung engagiert und inwiefern Lichtverschmutzung unsere Gesundheit beeinträchtigt, erklärt er im Interview mit nachhaltigleben.

Herr Wirth, was kann man sich genau unter Lichtverschmutzung vorstellen?

Unter Lichtverschmutzung versteht man die Abstrahlung von künstlichem Licht, die unnütz ist, beziehungsweise nicht effizient beleuchtet und so mit «Lichtabfall» die Tierwelt und uns Menschen beeinträchtigt. Ein Beispiel wäre die Beleuchtung einer Kirche. Diese wird meist von unten angestrahlt. Eine gewöhnliche Kirche ist oben aber oft spitzig, deshalb geht das Licht grösstenteils als Lichtabfall in die Atmosphäre und nicht an das Gebäude. Oder zum Beispiel Strassenbeleuchtung, die nicht nur die Strasse erhellt, sondern auch noch 100 Meter der Umgebung links und rechts. Wir bei «Dark Sky» wollen vermitteln, dass das auch anders geht.

Welche Folgen hat die Lichtverschmutzung für die Schweiz und für die Welt?

Als ich mich als Geschäftsleiter für Dark Sky bewarb, wusste ich, dass es um eine gute Sache geht. Am Vorstellungsgespräch wurde ich gefragt: «Wann haben Sie zum letzten Mal die Milchstrasse gesehen?» Da wurde mir schlagartig klar, dass wir bei einer derart übermässigen künstlichen Beleuchtung den Himmel gar nicht mehr als solchen wahrnehmen können! Zunehmend wird die Nacht zum Tag – und uns ist das oft gar nicht bewusst. Unser Körper merkt es aber schon. Wir sind ja nicht dafür geschaffen, Tag und Nacht wach zu sein, wir brauchen eine Ruhephase, um uns zu erholen und dazu gehört Dunkelheit. Auch für Tiere, man nehme die Vögel, die im Herbst gen Süden reisen, ist das viele künstliche Licht irritierend.

Ein österreichischer Chirurg behauptete vor kurzem sogar, dass Lichtverschmutzung das Krebsrisiko fördere.

Nun, dieses Gebiet ist zur Zeit sicherlich noch nicht vollständig erforscht. Deshalb finde ich, dass man den direkten Zusammenhang nicht erschliessen darf. Ist es in der Nacht nicht komplett dunkel, produziert der Körper weniger Melatonin als sonst, dadurch könnte Brust- oder Prostatakrebs hervorgerufen werden. Faktoren wie Rauchen, Alkohol oder Vererbung sind aber natürlich nach wie vor viel entscheidender.

Theo Wirth ist Geschäftsleiter von Dark Sky.

Theo Wirth ist Geschäftsleiter von Dark Sky und engagiert sich für die Reduktion von Lichtverschmutzung.

Der Zusammenhang zwischen Lichtverschmutzung und dem Energiebedarf kann bestimmt eindeutiger gemacht werden.

Selbstverständlich – die übermässigen Lichtemissionen verursachen einen enormen Energieverschleiss. Um dies zu verhindern, muss man sich konsequent die Fragen stellen: Was muss ich beleuchten, wie muss ich es beleuchten und muss ich es überhaupt beleuchten, die ganze Nacht, 24 Stunden lang?

Gibt es denn heutzutage in Industrieländern noch Alternativen zur 24/7-Beleuchtung?

Mittlerweile gibt es einige Möglichkeiten, um die ständige und ungenaue Beleuchtung zu umgehen. Schablonen zum Beispiel, die punktgenau Licht spenden können, oder Zeitschalter, die zu einer gewissen Uhrzeit automatisch das Licht ausschalten. Gemeinden, die mit bestem Beispiel voraus gehen, muss man auch gar nicht so lange suchen. In der Tessiner Ortschaft Coldrerio müssen alle Leuchtreklamen nachts ausgeschaltet werden, bis auf diejenigen von Notfallzentren und Apotheken. Die Zürichsee-Gemeinden Zollikon und Stäfa schalten von 1 bis 5 Uhr morgens die gesamte Strassenbeleuchtung weitgehend aus. 

Ist das nicht äusserst gefährlich?

Klar, es könnte etwas passieren. Und dann würden alle entsetzt aufheulen: «Was, nachts keine Strassenbeleuchtung, geht’s noch?» Im Moment klappt aber alles noch gut. Viele überlegen sich auch nicht, dass die Ablenkung durch die vielen Leuchtreklamen auf der Strasse genauso gefährlich ist. Wenn ich eine dunkle Strasse entlangfahre und aufs Mal eine blinkende Werbefläche in mein Sichtfeld auftaucht, irritiert mich das sehr.

Was ist neben der Reduktion von Lichtverschmutzung ebenfalls wichtig, damit wir  in einer nachhaltigeren Gesellschaft leben können?

Jeder von uns muss Eigenverantwortung übernehmen. «Strom sparen, natürliche Ressourcen schonen ja, selber aktiv werden, nein», heisst oft die Devise. Wir alle müssen uns über die kleinen Dinge bewusst sein, die wir tun können, um die Umwelt zu schützen. Ein anderer konkreter Bereich, ist die Kommunikation. Wir müssen heute immerzu erreichbar sein, Telefon, e-Mail, Internet. Nicht nur energietechnisch hat die elektronische Kommunikation eine negative Bilanz, sondern auch psychologisch und sozial. Wir werden immer gestresster. Diese Hektik kann nicht nachhaltig sein.

Weshalb ist Lichtverschmutzung, trotz beträchtlichen Entwicklungen auf Gemeindebasis, für die grosse Mehrheit kein Stichwort?

Weil es keine flächendeckende Gesetzgebungen gibt. Solange der Bund keine Bestimmungen macht, wird Lichtverschmutzung auch weiterhin nur die Wenigsten interessieren. Wir akzeptieren Lichtverschmutzung weitgehend, sagen: «Das ist eben einfach und ist schon immer so», obwohl es uns stört, wenn eine Strassenleuchte unser Schlafzimmer in der Nacht mit Licht durchflutet.

Welche Massnahmen müsste der Bund im Bezug auf Lichtverschmutzung ergreifen?

Am effizientesten wären klar geregelte Bauvorschriften für Beleuchtungssysteme. Leuchten sollten möglichst so konzipiert werden, dass keine Lichtemissionen entstehen. Das betrifft den Energiebereich genauso wie die übermässige, ständige und ungenaue Beleuchtung. Heute braucht man zwar für alles Mögliche Baubewilligungen, auf den Punkt Lichtverschmutzung werden sie aber keineswegs geprüft.

Ist es überhaupt möglich, das Licht in den Industrieländern vollständig zu «entschmutzen»?

Das ist eher unwahrscheinlich, denn in unserer Konsum- und Profitgesellschaft hat jeder schlagende Argumente gegen die Reduktion von Lichtverschmutzung. Mit dieser Leuchtreklame muss ich Werbung machen. Hier muss ich eine helle Strasse für den Autoverkehr haben. Ist mein Haus nicht ständig beleuchtet, könnte es verschmiert oder beraubt werden. Das Bewusstsein für Lichtverschmutzung ist noch viel zu gering. Dark Sky wird noch viel Informationsarbeit leisten müssen!

Interview und Bild: Sabrina Stallone - Februar 2012

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