«Mundraub»: Kostenlos Obst von freien Bäumen pflücken

Freies Obst für freie Bürger», so der Slogan einer Initiative, die seit einem Jahr Furore macht. Auf www.mundraub.org können herrenlose oder freigegebene Obstbäume eingetragen werden. Die Menschen sollten über das Obst wieder in Kontakt kommen, sagt Mitinitiator Mirco Meyer.

Ohne bedenken frisches Obst vom Baum pflücken.
Ohne Benken einfach mal frisches Obst von freien Bäumen pfücken. 

Die internationale Resonanz auf Ihr Projekt ist riesig. Wie entstand die Idee?

Begonnen hat alles mit einer kleinen Kanutour auf der Unstrut in Sachsen-Anhalt. Katharina Frosch und Kai Gildhorn (Gründer der Initiative, ck), waren auf der Tour überwältigt von den überbordenden Früchten, die ihnen fast in den Mund wuchsen. Als sie dann aber in ihr Kanu blickten, sahen sie nur das Obst aus fernen Landen, das sie ihm Supermarkt gekauft hatten. Aus genau diesem Widerspruch heraus entstand die Idee, regionales Obst den Menschen zugänglich zu machen.

Und wie wurde die Idee dann in die Tat umgesetzt?

Ganz einfach, heutzutage gibt es Googlemaps (lacht). Es wurde also ein erstes Dokument programmiert. Aufgrund der hohen Zugriffszahlen erkannten wir aber schnell, dass wir uns Hilfe holen mussten. Hier kamen für die Programmierung dann Justin Buckley und Daniel Nielsen ins Spiel. Ich selbst habe damals mit Kai gerade eine Firma gegründet, weshalb er in dieser Zeit zwischen der Firma und dem Mundraub-Projekt ziemlich hin- und hergerissen war. Er hat mir dann von dem Konzept erzählt, und ich habe zugesichert zu helfen.

Seit wann gibt es das Projekt?

Wenn man einen offiziellen Start finden müsste, dann gibt es Mundraub seit August 2009. Die Seite, wie sie jetzt existiert, gibt es seit letztem November. Und in dieser Version hat sie auch den Nachhaltigkeitspreis der Bundesrepublik Deutschland bekommen. Wir hoffen allerdings, zum Ende diesen Jahres noch eine überarbeitete Version rauszubringen.

Welche Obstsorten sind denn gerade reif?

Für die Schweiz kann ich jetzt gar nicht sprechen. In Berlin kommen die Früchte irgendwie immer ein wenig später. Hier sind gerade die Mirabellen reif, übrigens wahnsinnig viele in diesem Jahr. Aprikosen und Himbeeren sind gerade durch. Äpfel fangen jetzt an. Es gibt angeblich schon Birnen – ich habe allerdings noch keine entdeckt. Brombeeren werden langsam … Ich selbst komme kaum mehr dazu, in dem Umfang nachzuschauen, wie ich es gerne würde. Aber letztens habe ich mir nach dem „Mundrauben“ Mirabellen-Marmelade gemacht.

Gibt es überhaupt noch herrenlose Bäume? Die Bäume gehören doch immer irgendjemandem …

Herrenlos ist natürlich ein schwieriger Begriff. Wenn man durch den Wald geht und einen Kirschbaum sieht, dann gehört der Baum sicherlich dem Forstamt. Aber die Forstämter haben sicherlich nichts dagegen, wenn man da ein paar Kirschen nimmt. Entscheidend ist, dass man nicht den ganzen Baum leer macht. Darauf bauen wir natürlich. Und wir rufen dazu auf, immer nachzufragen. Das propagieren wir auch auf unserer Seite. Dort sagen wir ganz klar: Man darf sich nicht einfach bedienen, sondern muss immer versuchen, den Besitzer herauszubekommen und den dann fragen. Das ist unsere Absicherung, auf die wir bestehen.

Beissen Sie genussvoll in das natürliche Obst.

Herzhaft in das natürliche Obst beissen und dabei gesund Ernähren.

Wie genau werden die Einträge auf mundraub.org geprüft?

Wir können nicht alle Einträge prüfen, aber wir schauen uns die Einträge an und nehmen diejenigen heraus, die zweifelhaft sind oder uns komisch vorkommen. Mittlerweile haben wir schon ein Auge dafür. Oder wir schreiben die Leute an und bitten um Klärung. Es gibt aber auch immer mehr Menschen, die ihre Gärten selbst einstellen und teilen wollen.

Seit Kurzem müssen erst Ihre AGB bestätigt werden, um die Website zu nutzen. Wozu?

Zum einen ist es eine Arbeitsminimierung und Absicherung für uns. Es geht auf gar keinen Fall, dass jemand, der denkt, in Nachbars Garten ließe sich gut Kirschen klauen, diesen Ort einstellt. Außerdem bedeuten die AGB für uns auch weniger Arbeit, weil wir aufgrund der Resonanz einfach immer weniger schaffen. Wir haben gar nicht damit gerechnet, dass so viele Leute und auch Journalisten auf uns aufmerksam werden. Darauf waren wir einfach nicht vorbereitet. Zum anderen hatten wir aber auch zwei Mails von Besitzern erhalten, die gesagt haben, dass bei ihnen Obst gepflückt wurde, das ihnen gehört. Das wollten sie nicht, wir natürlich auch nicht, weshalb wir die Orte sofort von der Seite genommen haben. Wir wollen niemanden verärgern und schon gar nicht zum Diebstahl aufrufen. Unsere Vision ist ja nicht, dass Menschen sich streiten, sondern ganz im Gegenteil: Sie sollen ins Gespräch kommen. Wir wollen, dass Menschen über das Obst miteinander reden.

Klingt wie eine tiefere Philosophie…

Ja, wir möchten, dass Menschen über das Obst in Kontakt kommen. Jung wie alt. Und dass sie ihr Wissen weitergeben, denn gerade junge Leute sollen hinausgehen und das Obst wiederentdecken. Die Menschen sollen wieder anfangen, sich um ihre Umgebung zu kümmern, bewusst zu schauen und zu entdecken. Wir möchten unsichtbares Obst sichtbar machen. Im zweiten Schritt wollen wir dazu anregen, dass das Entdeckte gepflegt oder neu gepflanzt wird.

Und hier kommt der Nachhaltigkeitsgedanke ins Spiel…

Genau. Ich glaube, dass Nachhaltigkeit nicht besser begreifbar ist, als wenn man den Apfel direkt vom Baum pflückt. Vielleicht ein Beispiel: Wir waren auf einer Nachhaltigkeitskonferenz, zu der wir überraschend eingeladen wurden. Dort wird natürlich furchtbar viel geredet, aber niemand kann dieses sperrige Wort Nachhaltigkeit irgendwie begreifen. Man kann es nur begreifen, indem man es anfässt – im wahrsten Sinne des Wortes. Also haben wir uns gesagt: Mundraub muss in die Richtung gehen. Wir haben auf der Konferenz unsere Äpfel angeboten und zum Vergleich einen von diesen super shiny Supermarktäpfeln daneben gestellt. Es war eindrucksvoll zu beobachten, wie ein Kind in einen von den «gemundraubten» Äpfeln biss und sagte: «Mama, der ist lecker!» Das ist Nachhaltigkeit, darum geht es. Es geht darum zu begreifen, dass wir wieder viel mehr regional denken und mit den Ressourcen anders umgehen müssen.

Wie weiß ich denn, welche Standorte lohnen – oder nicht schon abgeerntet sind, wenn ich ankomme?

Wir haben gerade in Deutschland viel mehr Obst, als gegessen wird. Um nichts mehr abzubekommen, müsste es schon eine Massenbewegung werden. Aber: Eine bessere Übersichtlichkeit über die einzelnen Standorte ist geplant. Hier sollen die Nutzer Bewertungen abgeben oder mitteilen können, welche Standorte übernutzt sind. Die werden dann gekennzeichnet.

Gesunde Ernährung fängt in der Natur an.

Geniessen Sie das freie Obst und erlauben Sie sich das Pflücken aus der freien Natur.

Worauf sollte ich beim «Mundrauben» generell achten?

Die Menschen sollten vor Ort mundrauben, also nicht erst kilometerweit mit dem Auto fahren müssen. Möglichst mit dem Fahrrad, das wäre toll. Außerdem sollten sie nachhaltig agieren. Und sie sollten die Augen aufhalten und sich fragen: Handelt es sich um ein Privatgelände? Selbst wenn es herrenlos aussieht, lieber nachfragen! Außerdem: Beim Pflücken aufpassen, dass man nichts beschädigt. Das gilt übrigens auch für die Wiese drum herum und für den Baum. Die Leute sollten einfach verantwortlich und vorsichtig mit allem umgehen, damit auch im nächsten Jahr wieder etwas gepflückt werden kann.

Wie sind die Reaktionen auf das Projekt?

Genau. 99 Prozent der Mails, die wir bekommen, sind positiv. Einige Leute rufen sogar nur deshalb an, um uns zu sagen, wie toll sie uns finden. Das freut uns. Wir haben aber auch ganz böse Mails, in denen Leute Hunde auf uns hetzen oder uns mit Klagen überhäufen wollen.

Möchten Sie auch in die Schweiz expandieren?

Naja, wir trauen uns da nicht so recht ran, weil wir keine Zeit haben, um die rechtlichen Grundlagen zu klären. Ganz ausgeschlossen ist es aber nicht. Wir haben ja weltweite Anfragen. Uns fehlt allerdings eine Anschubfinanzierung. Deshalb haben wir einen Spenden-Button auf unserer Website. Wer also die Idee toll findet und möchte, dass wir in die Schweiz kommen oder weitermachen, der kann uns natürlich gerne finanziell unterstützen.

Wie soll es denn nun mit dem Projekt weitergehen?

Wir brauchen unbedingt einen neuen Server. Außerdem muss die Website überarbeitet werden und umziehen. Im Moment haben wir mindestens 2000 Zugriffe pro Tag. Die Website muss also stabiler werden. Außerdem möchten wir in Zukunft Cafés, Hotels und Kneipen gegen eine kleine Gebühr mit in die Map aufnehmen. Und zwar die, die sich in der Nähe der Obstbäume befinden. Davon könnte auch die lokale Wirtschaft profitieren, denn es liegt ja nahe, dass man vielleicht nach dem Pflücken auch noch gerne einen Kaffee trinken geht. Dann hat auch die Region etwas davon. Zu guter Letzt möchten wir aber auch, dass die Nutzer aktiver werden und sich mehr einbringen, zum Beispiel über Patenschaften.

Quelle: nachhaltigkeit.org, Interview: Claudia Kohlus

Zur Person:

Mirco Meyer ist einer der fünf Initiatoren von mundraub.org. Er studierte auf Lehramt Englisch und Biologie und war nebenberuflicher Referent für Kommunikationstraining und Theater. Außerdem Referent für Parea im Ökohaus e.V. in Rostock. Seit 2009 ist er selbständig sowie Geschäftsführer der Gildhorn, Meyer GbR (Internethandel, Kommunikation). Derzeit engagiert er sich ehrenamtlich hauptsächlich für mundraub.org und Mytilus e.V. .

 

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