Schweizer Wind mit Potential
Die technischen Mittel zu einer nachhaltigen Stromversorgung stehen heute grösstenteils zur Verfügung. Und die rasante Entwicklung erneuerbarer Energien, weiträumiger Stromtransporte und intelligent gesteuerter Stromnetze geht weiter. Wenn man die Effizienzsteigerung der Windenergie im letzten Jahrzehnt vor Augen hat, sind in den kommenden Jahren mit gutem Grund erneute Technologiesprünge zu erwarten.

Die europäische Windenergievereinigung EWEA hat im Februar 2010 bemerkenswerte Zahlen veröffentlicht: 2010 wurden in Europa knapp 10'000 MW Windenergieleistung installiert. Die erneuerbaren Energien haben damit einen Anteil von 41 Prozent der neu installierten Kraftwerksleistung. Auch die aufstrebenden Staaten Polen, Bulgarien und Rumänien installieren mehr und mehr Windkraftwerke. Führend sind Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich und Grossbritannien. Windenergie deckt aktuell 5,3 Prozent des Strombedarfs in der EU.
Die Windstromproduktion in der Schweiz erreicht demgegenüber nur bescheidenes Niveau. Mit den 2010 neu errichteten oder kurz vor Montagebeginn stehenden Anlagen werden zum Jahresende total 42,2 MW Windenergieleistung installiert sein. Die jährliche Produktionserwartung wird dann bei 74 GWh liegen. Damit behauptet sich die Windbranche genau in der Mitte der vom Bund per 2010 gesetzten Zielbreite von 50 bis 100 GWh Windstromproduktion.
Die Windenergieprojekte in der Schweiz spriessen. Schwerpunktregion ist der Jurabogen, wo an rund 20 Standorten Projekte geplant sind. Bis 2015 rechnet der Branchenverband Suisse Eole mit einem weiteren Zubau von bis zu 200 MW Leistung. Das mittelfristige Ziel (bis 2030) für Schweizer Windstrom liegt bei jährlich 1500 GWh oder 2,5 Prozent des heutigen landesweiten Strombedarfs. Das Potenzial für die fernere Zukunft (bis 2050) sehen Experten bei 4000 GWh Jahresproduktion. Bereits werden aber auch Stimmen laut, die ein Zuviel an Anlagen befürchten. Suisse Eole nimmt diese Ängste ernst.
Hürden für die Windenergie
Die oben erwähnte Zwischenzielerreichung für Windstrom war angesichts schwieriger Rahmenbedingungen kein Selbstläufer – und die Branche wird auch künftig etliche Hürden zu meistern haben. So bleibt der Beschluss des Bundesrates von 2008 auch heute noch unerklärlich, den Windstromtarif für die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) auf maximal 20 Rp./kWh zu beschränken. Mit diesem Tarif sind die Gestehungskosten nur an Spitzenstandorten abgegolten. Gute, von der Stromausbeute her sinnvolle Projekte sind damit ebenso in Frage gestellt wie die energiepolitisch motivierten Ausbau- und Produktionsziele für Windenergie. Trotzdem sind Windenergieprojekte mit insgesamt bereits 750 MW Leistung für die KEV zugelassen. Zwar dämpft das aktuelle Eurotief die Anlagenkosten, doch die Kursentwicklung könnte die Kostenstruktur jederzeit auch wieder nachteilig beeinflussen.
Die Dauer der Bewilligungsverfahren für Schweizer Windenergieanlagen dürfte im globalen Kontext Rekordwerte erreichen. Noch verhindern die von Kanton zu Kanton unterschiedlichen Rahmenbedingungen eine befriedigende Planungssicherheit. Projektinitianten haben sich zeitintensiv mit Raumplanung, Umweltberichterstattung und Wünschen sowie oft berechtigten Bedenken zahlreicher Anspruchsgruppen vor Ort auseinanderzusetzen. In die kürzlich beendete Erweiterung des Windparks auf dem Mont-Crosin waren nicht weniger als 30 verschiedene, untereinander wenig koordinierte Behörden und Amtsstellen involviert; das gesamte Planungsverfahren dauerte neun Jahre. Verschiedenorts wird heute an einer Korrektur dieser Situation gearbeitet: Einige Kantone haben ein Windenergiekonzept erstellt, andere ihre Windenergiepotenzialgebiete in den Richtplan eingestellt, während der Bund im Frühjahr 2010 «Empfehlungen zur Planung von Windenergieanlagen» formuliert und damit den Weg für schweizweit besser koordinierte Verfahren geebnet hat.

Trotz Ausbau der Windenergie muss die Biodiversität in der Schweiz erhalten bleiben. Foto: suisse eole
Naturorganisationen und Windbranche müssen und wollen den Zielkonflikt zwischen erneuerbarer Stromgewinnung und Schutz der Biodiversität sowie der Landschaft im Dialog gemeinsam lösen.
Visuell mögen die in grosser Höhe drehenden Rotoren gewöhnungsbedürftig sein. Landschaftsschutz heisst nun aber nicht, den Status quo einzufrieren, sondern eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Zu diesem Landschaftskonzept passt Windenergie: Die Auswirkungen unseres Stromkonsums sind hier und jetzt sichtbar, das Energiebewusstsein wird gefördert. Weder hinterlassen Windturbinen unseren Nachkommen Abfälle für hunderttausend Jahre, noch zerstören sie Landschaften anderswo. Und werden dereinst bessere Stromgewinnungstechniken marktreif, sind Windenergieanlagen spurlos rückbaubar. Aus diesen Überlegungen hat beispielsweise die UNESCO-Biosphäre Entlebuch den Bau einer Windturbine unterstützt, als Wahrzeichen für einheimische und nachhaltige Energiegewinnung.
Die Nutzung des hiesigen Windenergiepotenzials setzt keine neuen Regelkapazitäten voraus. Mit unseren Speicherkraftwerken kann auf Schwankungen bei Angebot und Nachfrage reagiert werden. Bei Windspitzen wird entsprechend weniger Wasser turbiniert, bei Flauten mehr. Windenergie ist Winterenergie, 60 Prozent des Windstroms entstehen in der kalten und dunklen Jahreszeit. Im Verbund mit anderen erneuerbaren Energien und durch den laufenden europäischen Netzausbau werden regionale Flauten ausgeglichen.
Ein letzter, nicht unwesentlicher Punkt: Die technische Effizienzsteigerung hat zur Folge, dass sich die Anlagenzahl bei gleicher Energieproduktion bedeutend reduziert. Ein Beispiel: Die acht neuen Windturbinen auf dem Mont-Crosin produzieren dreimal so viel Strom wie die bestehenden acht Anlagen, die zwischen sechs und 14 Jahre alt sind. Mit weiteren Effizienzsprüngen könnten mittel- bis langfristig mit der gegenüber dem Ausland vergleichsweise geringen Zahl von rund 800 Windturbinen - je nach Verbrauchsentwicklung – bis zu acht Prozent des landesweiten Strombedarfs gedeckt werden. Marginal ist das nicht.
Mehr zur Windenergie in der Schweiz: www.wind-energie.ch